Volatile Lieferketten, handelspolitische Verwerfungen, Fachkräfte wandern ab oder gehen in den Ruhestand, steigende Energie- und Rohstoffpreise, Klimakrise: Deutschlands Wohlstand ist bedroht. Die Friedensdividende und das Erbe, seit fast zwei Jahrhunderten zu den innovativsten Ländern der Welt zu zählen, scheinen nahezu verprasst. Als ob all das nicht genug wäre, rollt eine technische Revolution über uns hinweg, die Wirtschaft, Staat und Gesellschaft unvorbereitet erfasst: die KI-Revolution. Ich sage: Diese Revolution zukunftsfähig zu gestalten, ist die größte Aufgabe unserer Generation. Das Land der Dichter und Denker und nicht zu vergessen der Ingenieure steckt in einer tiefen Identitätskrise. Während weltweit investiert, experimentiert und skaliert wird, erleben wir in Deutschland eine Zurückhaltung, die völlig an der Realität vorbeigeht. Dabei bietet die Teilhabe an dieser Revolution eine Jahrhundertchance – auch für die grüne Transformation.
Es ist Zeit, die deutschen Ingenieurstugenden neu zu erfinden. Zeit für Gründergeist. Nur damit können wir wieder Kontrolle gewinnen und mitentscheiden, in welcher Welt wir zukünftig leben wollen.
Ein Land in der Warteschleife
Eine (deutsche) Ingenieurstugend ist es, ein Problem zu verstehen, es glasklar zu definieren, die vielversprechendsten Lösungen zu identifizieren, und dann ganz pragmatisch die einfachste davon schnell umzusetzen. Genau so müssen wir auch mit KI umgehen.
Doch anstatt Geschwindigkeit aufzunehmen, ist die deutsche Diskussion um Künstliche Intelligenz geprägt von Bedenken, von Was-wäre-wenn.
Sorgen um Jobverluste oder ethische Probleme sind wichtig und brauchen gute Antworten. Die Frage, was KI heute wirklich besser kann und was nicht, ist berechtigt und alles andere, als einfach zu beantworten. Wie wir diese Technologie geschickt regulieren, ist alles andere als trivial. Unternehmen überlegen zu Recht, ob sich die hohe Anfangsinvestition denn auch lohnen wird, und ob jetzt wirklich schon der Zeitpunkt ist für KI. All diese Bedenken sind legitim, aber sie dürfen uns nicht lähmen. Denn die größere Gefahr liegt im Nichtstun.
Während die USA und China mit milliardenschweren Investitionen in KI vorangehen, während die großen Techkonzerne aus dem Silicon Valley Künstliche Intelligenz in ihren Produkten breit integrieren, während vor allem Amerikanische Start-ups die großen KI-Innovationen treiben, verharren wir in Risikoanalysen. Wir scheinen derzeit vor allem von Verlustängsten getrieben. Wir versuchen, mit allen Mitteln etwas zu bewahren, das schon längst nicht mehr existiert. Deutschlands Autoindustrie etwa war lange das schlagende Herz der deutschen Wirtschaft, deutsche Autos waren weltweit ein Exportschlager. Heute ist klar, dass zukünftig die größte Wertschöpfung in der Software liegen wird. Autonomes Fahren beispielsweise wurde aus deutscher Perspektive lange belächelt. Jetzt scheint eine Zukunft, in der selbstfahrende Autos Alltag sind, kurz bevorzustehen. Geschrieben wird diese Zukunft aber nicht im Autoland Deutschland. Sollte sie aber.
Am Ende dieses Pfades wartet eine Welt, in der die Zukunftstechnologie, die unsere Wirtschaft, unsere Arbeit, unseren privaten digitalen Konsum, vielleicht sogar unsere menschlichen Beziehungen maßgeblich bestimmt, von anderen kontrolliert und getrieben wird – den großen Techplayern in den USA sowie dem chinesischen Staat. Ich möchte in einer anderen Zukunft leben!
Dabei haben wir in Deutschland eigentlich alles, was wir brauchen, um die KI-Revolution gut zu gestalten. Eine mittelständische Wirtschaft, die zupackt und die Risiken eingehen kann – auch längerfristig –, einen guten Datenschutz und die nötige Regulierung, um KI auf eine gute Bahn zu lenken, eine hohe Innovationskraft, gute Bildung, und den europäischen Verbund, in dem vieles leichter geht.
Anfangen kann so leicht sein
Doch nur, wenn wir unsere Ideen dem Praxistest aussetzen und ins Machen kommen, können wir den Verlauf der KI-Revolution mitbestimmen. Da müssen jetzt alle ran.
Was mir Hoffnung macht: In meiner Arbeit erlebe ich tagtäglich, dass immer mehr Unternehmen verstehen, welch enorme Potentiale KI bietet – in der Produktion, im Kundenservice, in der Logistik.
KI-Systeme können Abläufe automatisieren, Prognosen verbessern, Entscheidungen beschleunigen. Sie können Wissen sichern, wo Menschen altersbedingt ausscheiden. Sie können Produktivität dort erhöhen, wo der Wettbewerbsdruck besonders stark ist.
Doch KI entfaltet ihr revolutionäres Potential nicht über langwierige strategische Vorüberlegungen und losgelöste Experimente, sondern im betrieblichen Alltag.
Die größte Hürde für den Einsatz von KI in mittelständischen Unternehmen liegt nicht in der Technologie selbst. Auch an Ideen mangelt es nicht. Es sind die Einstellungen, die bremsen. Zum Beispiel die Haltung, man müsste erst alles bis ins Letzte durchgeplant haben, bevor man in die Umsetzung geht. Dabei braucht es nur den Willen, loszulegen. Gründergeist und Ingenieurstugenden. Back to the roots.
Do something that works
„Do something that works“ ist unser Leitsatz, zu dem wir Kunden herausfordern. Der Clue ist es, einen KI-Anwendungsfall zu identifizieren, von dem alle ausgehen, dass er in kurzer Zeit erfolgreich implementiert werden kann, der gemeinsam in wenigen Monaten zum Laufen gebracht wird. Ist einmal eine produktive Lösung live, steigt die Begeisterung für KI, und viele Unternehmen werden zu Wiederholungstätern.
Ein Sprachmodell erstellt für einen unserer Kunden aus dem Anlagenbau heute binnen Sekunden komplexe Angebote, basierend auf vorhandenen Informationen zu Preisdaten und Spezifikationen. Für einen Spielwarenhersteller justieren wir anhand von Kundenanfragen ein KI-Modell, das diese automatisch sortiert, Prioritäten vergibt und Standardfragen sofort beantwortet. Kundinnen und Kunden bekommen schneller eine Antwort, das Team kann sich so voll auf die Kundenbetreuung konzentrieren.
Eine KI bei einem Hersteller von Präzisionsrohren für die Chemie- und Pharmaindustrie prüft Rohre mittlerweile anhand von Kameraaufnahmen in Echtzeit und sortiert fehlerhafte Stücke sofort aus. Ein Tarifvertrags-Chatbot sorgt bei einer führenden Gewerkschaft für Antworten auf häufige Fragen in Sekundenbruchteilen. Eine lokal betriebene Lösung in einem Landesjustizministerium durchforstet Tausende Urteile nach passenden Präzedenzfällen für schnellere Entscheidungen.
Es ist völlig klar: KI ist keine Technologie, von der ausschließlich große Konzerne profitieren. KI kann jeder!
Insbesondere der deutsche Mittelstand, der zupacken kann, der Innovation schätzt, der gerne tüftelt, der oft auch auf sehr umfassenden Daten sitzt. Der Mittelstand hat eine unglaubliche Chance, sich mithilfe von KI zukunftsfähig aufzustellen und dabei die KI-Revolution mitzuschreiben.
Es braucht gute Spielregeln
Dass Politik die KI-Revolution begleitet, ist unerlässlich – sie darf sie dabei nur nicht unnötig ausbremsen. Was wir brauchen, sind keine neuen Hürden, sondern klare Spielregeln und ein klares Bekenntnis. Der Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung macht KI bestenfalls zu einer Randnotiz. Während andere Länder in großen Schritten vorangehen, verlieren wir uns in Detailfragen. Hier ist zu hoffen, dass die schwarz-rote Koalition nachbessert, mit echten Investitionsanreizen und langfristiger Planungssicherheit. Es bleibt abzuwarten, was der neue Digitalminister umsetzen wird.
Zugleich ist die Abhängigkeit von wenigen internationalen Anbietern, die auch auf EU-Ebene intensiv diskutiert wird, ein berechtigter Kritikpunkt. In fast jedem Kundengespräch, das wir aktuell führen, stellt sich die Frage nach europäischer Souveränität: Liegen unsere Daten in der EU? Gibt es Alternativen zu US-Anbietern? Was tun wir, wenn regulatorische oder wirtschaftspolitische Brüche diese Abhängigkeiten schlagartig zum Problem machen? Doch tatsächlich gibt es heute schon valide Antworten auf die meisten dieser Fragen und konkrete gute Lösungen, zum Beispiel beim Daten-Hosting in der Cloud. Wieder gilt: einfach anfangen!
Dass Gesetze aus Brüssel besser als ihr Ruf sein können, zeigt der AI Act. Während die Wahrnehmung ist, dass ein schwerfälliges Bürokratiemonster auf uns zukommt, sieht die Realität anders aus. Der Großteil der Verantwortung liegt bei den Anbietern von Basismodellen – nicht bei den Unternehmen, die sie anwenden. Entscheidend wird wie so oft die Umsetzung in nationales Recht. Deutschland darf hier keinen Sonderweg gehen. Eine europäisch harmonisierte Umsetzung wird entscheidend sein, um von den Vorteilen unseres Binnenmarktes bei der KI-Revolution zu profitieren.
Machen.
Es geht nicht um KI-Technologie als Selbstzweck oder Allheilmittel. Es geht darum, ob wir als Wirtschaftsstandort auch in zehn Jahren noch unter den Top Ten rangieren. KI zeichnet sich schon heute als entscheidender Wettbewerbsfaktor ab. Sie kann ein Verstärker sein für das, was uns als Land stark gemacht hat – wenn wir bereit sind, sie sinnvoll einzusetzen. Und sie ist nicht Teil eines abstrakten Zukunftsszenarios. Sie ist bereits da. Der Mittelstand weiß es, Tradition mit Innovation zu verbinden. Aber dafür müssen wir jetzt smart handeln. Da reichen nicht ein paar ChatGPT-Lizenzen für die Mitarbeiter, sondern es braucht mutige Ansätze, die vom ersten Kundenkontakt über die Fertigung bis zur Rechnungsstellung schnell Hunderttausende sparen – und damit Investition ermöglichen. Deutschland ist im KI-Rennen noch lange nicht abgehängt. Es ist Zeit, die größte Stärke, die wir haben – der Mittelstand als Rückgrat unserer Wirtschaft –, voll auszuspielen. Das ist der Mittelstand, den ich mir wünsche: endlich wieder gewinnen und nicht nur mitspielen wollen. Lassen wir uns die Butter in der KI-Revolution nicht vom Brot nehmen!




