Dr. Frank Heinricht, Vorstandsvorsitzender von Schott, über das Multitalent Glas, den Klimaschutz und darüber, welche Chancen er in Künstlicher Intelligenz sieht

Dr. Frank Heinricht ist seit 2013 Vorstandsvorsitzender der Schott AG. Nach Physikstudium und Promotion zum Dr.-Ing. an der TU Berlin begann er 1992 seine Laufbahn in der Wirtschaft. Neben seinen Aufgaben bei Schott ist er stellvertretender Vorsitzender des Beirats der Würth-Gruppe, Mitglied des Aufsichtsrats der B. Braun SE, Präsident des Bundesverbands Glasindustrie, Mitglied des Präsidiums des Bundesverbands der Deutschen Industrie und Mitglied des Wissenschaftsrates.

V Ihr Unternehmen tritt in Fachkreisen immer wieder mit herausragenden Erfindungen in Erscheinung, die aber eher selten in der breiten Öffentlichkeit wahrgenommen werden. Nennen Sie uns gerne ein paar Beispiele für innovative Produkte aus Ihrem Haus.

Unsere Innovationen sind oft auf den ersten Blick nicht sichtbar, viele unserer Spezialgläser „verstecken sich“ meist in Produkten unserer Kunden. Nicht selten sind sie ein „Enabler“, ein Ermöglicher für Produktinnovationen, und bieten Lösungen für viele Herausforderungen, bei denen andere Werkstoffe den hohen Anforderungen nicht genügen.

Aktuell sind wir zum Beispiel innovativ bei ultradünnen, biegbaren Gläsern unterwegs. Diese werden für Smartphones und Tablets mit faltbaren Displays eingesetzt. Und unsere dünnen Gläser können in Lithographiegeräten als präzise Komponenten zur Herstellung für superschnelle Mikrochips eigesetzt werden; als Substratmaterial erlauben sie beim Chipaufbau neuartige (3D-)Chipstrukturen. Im Weltall schützen dünne Abdeckgläser die Solarpanels von Satelliten. Lösungen bieten unsere Produkte auch in Pharmazie, Life Science und Diagnostik, seien es Pharmaverpackungen für hochsensible Medikamente oder Glassubstrate für Lab-on-a-Chip-Anwendungen, die mobile Diagnostik unabhängig von großen Laboren ermöglichen. Ich könnte Ihnen noch viele weitere Beispiele nennen – aber das würde zu weit führen.

V Gibt es darunter Produkte, die Sie als „Green Technology“ bezeichnen würden und die Ihren Kunden helfen, die Umwelt zu schonen?

Ja, wir liefern auch Produkte, die zu nachhaltigen Methoden der Energieerzeugung beitragen. Wie erwähnt, sind viele der Produkte erstmal nicht jedem bekannt. Das sind zum Beispiel chemisch resistente und robuste Glasrohre für Photobioreaktoren zur Algenzucht für Biofuels oder zur chemiefreien Abwasserbehandlung. Sie sorgen für optimalen Lichteintrag und damit für höchste Wachstumsraten von Mikroalgen.

Ein weiteres Feld sind Brennstoffzellen. Hier sorgt unser Spezialglas für eine hermetische Abdichtung sowie Robustheit und damit für einen hohen Wirkungsgrad auch im Langzeitbetrieb. Hermetische Komponenten aus Glas bieten auch in der (grünen) Wasserstoffproduktion viele Vorteile und mehr Sicherheit. Ein weiteres Beispiel, in dem Glas eine Rolle spielt, ist das Thema E-Mobility. In neuartigen Festkörperbatterien wird Glaskeramikpulver als Elektrolyt verwendet. Dichtungstechnologien aus Glas und Metall schützen auch klassische Lithium-Ionen-Akkus und sorgen damit für effizientes und zuverlässiges Fahren.

V Ihr Werkstoff ist Glas. Was zeichnet dieses Material aus, beziehungsweise wo sehen Sie die Vorteile gegenüber anderen Materialien?

Glas ist ein wahres Multitalent. Unsere Expertinnen und Experten nutzen für unser Spezialglas das komplette chemische Periodensystem. Damit können sie dem Glas eine Vielzahl von Eigenschaften verleihen – von beispielweise chemischen, elektrischen und optischen bis hin zu thermischen Eigenschaften. Die Möglichkeiten sind nahezu grenzenlos. Viele unserer Kunden haben sehr spezifische Anforderungen. Zum Beispiel muss Glas bestimmten Bedingungen oder Witterungen trotzen oder eine ganz besondere Geometrie haben. Wir können dann mit unseren Partnern gemeinsam das für ihre Anwendung passende Glas entwickeln. Der Werkstoff Glas kann mit sehr hoher Präzision, Zuverlässigkeit und Langlebigkeit punkten – andere Materialien können da oft nicht mithalten.

V Der Energieverbrauch in Ihrer Branche ist naturgemäß hoch. Sehen Sie Chancen, diesen zu senken und damit künftig umweltfreundlicher zu produzieren?

Ja, diese Chance sehen wir. Es ist unser klares Ziel, in der Zukunft umweltfreundlicher zu produzieren. Deswegen haben wir uns ein ambitioniertes Klimaschutzziel gesetzt. Darüber hinaus hat die Verbesserung der Energieeffizienz für uns schon seit Jahrzehnten hohe Priorität. Aufgrund unserer Umweltschutzziele und der Energiekrise hat das Thema in den letzten Jahren noch deutlich an Fahrt aufgenommen, und wir haben verschiedene Initiativen gestartet. Um weitere Einsparprojekte zu fördern, gibt es intern einen jährlichen Greenfonds mit über 5 Millionen Euro, der Ideen aller Mitarbeitenden fördern soll.

V Welche CO2-Ziele hat sich Schott selbst gesetzt, und wie wollen Sie diese erreichen?

Wir wollen bis 2030 klimaneutral in unserer Produktion werden – also bei Scope-1- und Scope-2-Emissionen. Das Ziel ist wegweisend in unserer Industrie. Bevor wir mit dem Programm gestartet sind, hatten wir einen CO2-Fußabdruck von 1 Million Tonnen jährlich. Diesen haben wir in den letzten drei Jahren auf rund 350.000 Tonnen reduziert. Der größte Hebel dabei war der Bezug von Grünstrom. Hier haben wir auf 100 Prozent umgestellt. Daneben arbeiten wir an Maßnahmen für mehr Energieeffizienz. Unser wichtigstes und zugleich schwierigstes Ziel ist der Technologiewandel, also die technische Umstellung der Schmelzwannen. Im Moment laufen sie vor allem mit Erdgas. Das wollen wir ändern: Deswegen erforschen wir zwei neue technologische Möglichkeiten, wie wir die Beheizung der Schmelzaggregate umstellen können. Das ist zum einen grüner Wasserstoff, zum anderen die Elektrifizierung mit grünem Strom. Um bis 2030 klimaneutral zu sein, müssen wir allerdings auch verbleibende, nicht vermeidbare Emissionen kompensieren; technologisch allein wird das bis dahin nicht machbar sein.

V Arbeiten Sie dabei mit NGOs oder politischen Organisationen direkt zusammen?

Wir setzen hier als Stiftungsunternehmen vor allem auf Austausch. Als forschungsgetriebener Technologiekonzern ist uns ein wissenschaftlicher und dialoggetriebener Ansatz wichtig. Das finde ich gerade bei dem komplexen Thema Klimaschutz, wo sich gerade so viel entwickelt, entscheidend. Wir diskutieren deswegen immer wieder mit verschiedenen politischen Organisationen, mit der Wissenschaft sowie mit Verbänden, um dazuzulernen.

V Nachhaltiges Wirtschaften beginnt im Kopf und in der Unternehmensstrategie. Was verstehen Sie unter „Responsible Leadership“?

Nachhaltigkeit hat immer drei Dimensionen: eine wirtschaftliche, eine ökologische und eine soziale. Jede dieser Dimensionen hat ihre eigenen Bedürfnisse. „Responsible Leadership“ bedeutet für mich, dass wir werteorientiert handeln und die verschiedenen Dimensionen immer wieder ausbalancieren und in Einklang bringen. Ohne solide wirtschaftliche Nachhaltigkeit können wir als Unternehmen in den anderen Bereichen nicht verantwortungsvoll handeln. Als guter Manager ist man wie ein Gärtner, man muss darauf achten, was wo wachsen kann und was nicht. Und vor allem muss man langfristig denken. Das heißt, ebenso Dinge pflanzen, die erst später blühen – auch über die eigene Generation hinaus.

V Wie sehen Sie grundsätzlich die Rolle von Hightech bei der Bekämpfung des Klimawandels?

Neue Herausforderungen brauchen innovative Lösungen. Nehmen Sie zum Beispiel den technologischen Wandel, den wir gerade in der Glasindustrie anpeilen. Hier müssen wir komplett neue Technologien für unsere Schmelzwannen entwickeln. Das sind zukünftige Hightechlösungen made in Germany. Ohne solche Innovationen in den unterschiedlichsten Branchen werden wir den Klimawandel nicht bekämpfen können. Wichtig ist, dass wir hier konkret an machbaren Projekten arbeiten. Nur zu sagen „Hightech wird alles lösen“ ist zu wenig. Es braucht klare Pläne und Roadmaps.

V Können Sie uns einige Technologien nennen, die Sie besonders schätzen, weil sie Ressourcen schonen, Energieverbrauch reduzieren oder Abfälle vermeiden?

Wir setzen seit vielen Jahren verschiedene Technologien ein, um Emissionen, Energie- und Wasserverbrauch immer weiter zu senken. Durch eine technische Umstellung unserer Schmelzwannenheizung seit Mitte der 1990er Jahren ist es uns gelungen, den spezifischen Energieverbrauch pro Tonne Glas deutlich zu senken. Pro umgestellte Wanne konnten wir diesen über 30 Prozent reduzieren und damit auch die CO2-Emissionen signifikant herunterfahren.

Wir nutzen auch die Abwärme aus Schmelzaggregaten im Winter für die Heizung der Gebäude und im Sommer für die Kältetechnik in der Produktion. Mit geschlossenen Kreislaufsystemen und Wasseraufbereitungssystemen haben wir die Frischwasserentnahme deutlich gesenkt. In den letzten 30 Jahren konnten wir diese zum Beispiel in Mainz um ungefähr 90 Prozent reduzieren. Intern haben wir auch bereits ein gutes Kreislaufsystem etabliert, das beispielsweise einen großen Teil der Glasscherben wieder in die Produktion zurückführt. Wir arbeiten zudem an Lösungen, um mit KI und Big Data weitere Ressourcen zu schonen.

V Sehen Sie in Künstlicher Intelligenz eher Chancen oder Risiken, und welche Rolle spielt KI in Ihrer Branche in Zukunft?

Bei Künstlicher Intelligenz sehen wir für die Produktion vor allem Chancen. Wir setzen in Teilen unserer Produktion bereits Machine Learning und Künstliche Intelligenz ein, um während des gesamten Herstellungsprozesses Daten zu sammeln und Prozessparameter zu optimieren. Fortschritte gibt es bei den Abläufen rund um die Schmelzwannen. Bei Spezialgläsern für die Pharmabranche oder für Teleskope ist beispielweise extreme Genauigkeit gefragt. Man muss exakt auf Luftzufuhr, Temperatur, Fließgeschwindigkeit und andere Parameter achten. Kameras und Sensoren erfassen die entsprechenden Abläufe. Diese Daten könnten in Zukunft mit KI noch besser ausgewertet werden, um Schmelzprozesse stabiler zu machen und die Glasausbeute zu erhöhen. Sie merken: Das Potential des Werkstoffs Glas ist noch lange nicht ausgeschöpft. Mit Hilfe von KI können wir hoffentlich noch mehr über Glas als Werkstoff lernen. Wir hoffen, damit die Glasproduktion noch leistungsfähiger und effizienter und somit auch nachhaltiger zu machen.

V Was sind die größten Herausforderungen bei der Umsetzung von Hightechlösungen zum Schutz der Umwelt?

Für uns sind die fehlende Infrastruktur und die Verfügbarkeit grüner Energieträger die größten Herausforderungen, um unsere neuen Technologien mit Grünstrom und Wasserstoff in Zukunft schneller ausrollen zu können. Wir selbst als Schott nehmen jährlich etwa einen zweistelligen Millionenbetrag in die Hand, um die Transformation in Richtung „grünere Industrie“ umzusetzen. Die Mittel fließen vor allem in die Erforschung neuer Technologien und in Grünstrom. Aber die Mega-Themen Energieverfügbarkeit und Infrastruktur sind zu groß für einen allein. Hier brauchen Unternehmen, die vorangehen wollen, die Unterstützung der Politik. Für die deutsche Industrie ist es eine große Chance, bei Klimatechnologien und Umweltschutz ganz vorne mitzuspielen. Wir müssen nur mehr Tempo machen, um ein Vorzeigeland mit grünen Hightechlösungen zu werden.

Die Fragen stellte Gabriele Kalt.

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