Wie eine Brille zum Hebel für Wandel wird

Berlin, 2003. Aus einer klaren gestalterischen Haltung he raus entsteht MYKITA – gegründet von einer Gruppe von Gestaltern rund um den Autodidakten und heutigen Creative Director Moritz Krueger. Die Idee: die Brille neu denken – als funktionales Objekt, als ästhetisches Statement, als langfristiger Alltagsbegleiter. Im Zentrum stand von Beginn an ein reduzierter Gestaltungsansatz, gepaart mit einem hohen Anspruch an Qualität und Langlebigkeit.

Doch schon früh zeigte sich: Für das, was sie entwickeln wollten, gab es keine passenden Produktionspartner. Kein Hersteller konnte die neuartige Konstruktion umsetzen. Also entstand aus der Not heraus ein eigener Weg. MYKITA baute eine autonome Infrastruktur auf, die Design, Entwicklung und Fertigung miteinander verzahnt. Daraus entstand ein Produktionsmodell, das bis heute die Basis des Unternehmens bildet: offen, integriert, unter einem Dach.

Die ersten Räume: eine leer stehende Kita – daher der Name. So entsteht eine unabhängige, moderne Manufaktur, in der alles in nächster Nähe geschieht: vom Entwurf über die Entwicklung bis zur Fertigung. Bis heute werden alle Brillen im MYKITA HAUS von Hand gefertigt. Heute beschäftigt das Unternehmen rund 350 Mitarbeitende weltweit, beliefert über 80 Länder und betreibt eigene Stores in Metropolen wie Berlin, New York oder Tokio.

Blick in die MYKITA-Fertigung: An „Frontentisch“ und „Bugelstrase“ entstehen die Brillenelemente aus Edelstahl. // Quelle: MYKITA GmbH

Edelstahl: Das Rückgrat des MYKITA-Designs

Der Anspruch: MYKITA identifiziert sich durch moderne, ultraleichte Designs mit hohem Tragekomfort. Die Kollektionen verbinden patentierte Technologien mit innovativen Materialien: Edelstahl, MYLON® (ein 3D-gedruckter Kunststoff) und recyceltes „Acetate Renew“. Bereits die allererste Kollektion wurde aus hauchdünnen Edelstahlplatten gefertigt. Der Werkstoff ist bis heute das Rückgrat der MYKITA-Produktwelt: leicht, korrosionsbeständig, langlebig. Fast zwei Drittel aller Fassungen basieren auf diesem Material.

Doch der Rohstoff bringt eine Herausforderung mit sich: Der Herstellungsprozess von Stahl ist traditionell extrem ressourcenintensiv.

Klassisch wird Eisenerz in Hochöfen geschmolzen, oft mit erheblichem CO₂-Ausstoß. Gleichzeitig gehört Stahl zu den am häufigsten recycelten Materialien weltweit. Genau hier setzt MYKITAs Kreislaufwirtschaft an – konkret und systematisch.

Grafik: Stahl in Fabrik: Edelstahl bildet die Basis zahlreicher Fassungen. // Quelle: MYKITA GmbH

Von Berlin nach Schweden und zurück: Der geschlossene Edelstahlkreislauf

Seit Anbeginn bezieht MYKITA seinen Federstahl vom schwedischen Hersteller Alleima – einem Unter nehmen, das sich seit über 100 Jahren auf das Recycling von Edelstahl spezialisiert hat. 2022 wurde ein geschlossener Kreislauf etabliert: die Rückführung der eigenen Produktionsreste direkt in den gleichen Materialkreislauf.

Der Ablauf: Die Brillenfassungen werden im MYKITA HAUS aus ultradünnem Bandstahl von Alleima gefertigt, mit einem erheblichen Anteil Materialverschnitt. Recycelt wird dieser Verschnitt schon immer. Seit 2022 schickt MYKITA den Verschnitt zurück zu Alleima, wo er in einem nahezu emissionsfreien Lichtbogenofen eingeschmolzen wird – zu exakt dem Material, das später erneut in Berlin zum Einsatz kommt.

Heute bestehen die Fassungen aus einem zu 95 Prozent recycelten Edelstahl, Anteil steigend. Lediglich noch fünf Prozent Primärmaterial sind notwendig, um die nötige medizinische Qualität und Stabilität zu gewährleisten. Ein Kompromiss, der transparent kommuniziert wird.

Auch für andere Materialien wurden Ziele gesetzt: Seit 2022 wird für Acetat ausschließlich das nachhaltige Eastman Acetate Renew eingekauft, hergestellt aus schwer recycelbarem Kunststoffabfall über einen „chemical recycling“-Prozesses. Die dazu als Grundlage notwendige „lückenlose Lieferkette“ wird jährlich mit ISCC Plus zertifiziert, ein Prozess, der Greenwashing vorbeugen soll. Unterm Strich kommt die Firma so auf knapp 90 Prozent recyceltes Material für die Herstellung ihrer Fassungen im Einkauf.

Verantwortung ist mehr als Material

Nachhaltigkeit wird dabei nicht als rein technisches Thema verstanden, sondern als übergreifendes Prinzip. Verantwortungsvolles Design bedeutet: intelligentes, zielgerichtetes Design bestimmt nicht nur die Form, sondern auch die Lebensdauer jeder Fassung. Das Design folgt keinem kurzlebigen Trend, sondern ist auf langfristige Nutzung und Wiedererkennbarkeit ausgelegt.

Reparaturen, Ersatzteile und Services sind integraler Bestandteil der Produktstrategie – mit dem Ziel, Brillen möglichst lange im Umlauf zu halten.

Unterstützt wird dies von einem kostenlosen „MYCARE“ Service in allen MYKITA Stores weltweit, mit dem die Lebensdauer der Produkte noch verlängert werden kann.

Die neueste Optimierung sind die zu Präsentationszwecken genutzten Demo- oder Stützgläser, mit sehr geringer Lebensdauer – die beim Verkauf durch individuell angepasste Gläser ersetzt werden. 2025 hat MYKITA seinen Materialeinkauf für dieses Demo-Glas auf Tritan Renew, einen recycelten Kunststoff, umgestellt. Der Übergang erfolgt schrittweise, auch um vorhandene Materialien zunächst vollständig zu nutzen.

Transparenz als Produktionsprinzip

Transparenz darüber, wo und wie produziert wird, ist für MYKITA ebenso prägend wie das Produkt selbst. Design, Entwicklung und Montage finden in 80 Arbeitsschritten hier im MYKITA HAUS statt. Einzelne spezialisierte Fertigungsschritte wie zum Beispiel Lackierung oder andere Oberflächenbeschichtungen finden in spezialisierten Partnerbetrieben in Deutschland oder innerhalb Europas statt. Auch die Acetatevorproduktion erfolgt außer halb des Hauses im firmeneigenen Werk in Tschechien. So entsteht eine kontrollierte, nachvollziehbare Wertschöpfungskette mit direktem Austausch über mögliche Nachhaltigkeitsverbesserungen.

Der Umzug 2024 in das neue MYKITA HAUS an der Köpenicker Straße, Berlin Kreuzberg – ein historischer Backsteinbau direkt an der Spree – markiert einen neuen Meilenstein. Auf rund 2.500 Quadratmetern sind alle Teams, Maschinen und Materialien unter einem Dach vereint, mit effizienten, kurzen Wegen. Die Architektur folgt dabei der Idee einer offenen Produktion: Besucher:innen können durch große Fenster als Ausdruck transparenter Produktionskultur einen bewusst gewählten Einblick in die Fertigung erhalten.

In der Produktwelt entstehen 2024 neue Kollaborationen: Mit dem deutschen Kofferhersteller RIMOWA hat MYKITA eine Kollektion entwickelt, die auf innovatives Design, Leichtigkeit, Modularität und Materialeffizienz setzt – „Iconic Design“, crafted in Germany‘. Aluminium trifft auf MYLON – ein Materialmix, der auf Modularität, Leichtigkeit und Langlebigkeit ausgelegt ist.

Die Zukunft: Verantwortung gemeinsam angehen

Kreislaufwirtschaft funktioniert nicht im Alleingang. Das zeigt sich bei fast jedem Thema, vor allem bei den noch ungelösten: beim anfallenden Acetatverschnitt, beim Recycling von Gläsern, beim Brillenetui – derzeit aus Asien – dessen CO₂-Fußabdruck die Brille selbst übersteigen kann. Es gibt noch eine Vielzahl an Herausforderungen.

MYKITA kann einen Beitrag leisten – aber nicht alles allein lösen. Die großen Themen sind Challenges für die gesamte Eyewear-Branche.

Genau deshalb wurde 2025 die Brancheninitiative Frame the Future ins Leben gerufen, mit MYKITA da bei im Gründungsteam. Als Allianz für systemischen Wandel bringt sie Marken, Zulieferer und Expert:innen entlang der gesamten Wertschöpfungskette zusammen – im Schulterschluss statt Wettbewerb. Gemeinsam entstehen Standards, Pilotprojekte und Werkzeuge – spezifisch für die Herausforderungen der Brillenbranche. Für echte Kreisläufe.

Denn Verantwortung ist kein Trend. Und Design endet nicht beim Produkt, sondern geht über das Restmaterial und darüber hinaus. Das Bewusstsein ist da: Produktion ist nie vollständig ohne ökologische Auswirkungen, aber sie kann bewusst gestaltet und kontinuierlich verbessert werden. Die zukunftsfähige Brille beginnt nicht beim Material. Sondern bei der Haltung.

Aktuelle Beiträge