Wie Künstliche Intelligenz und Nachhaltigkeit eine ganze Industrie neu erfinden

Stellen Sie sich ein Gebäude vor, das sich selbst optimiert, Energie nicht nur spart, sondern auch eigenständig produziert und den Wert Ihres Portfolios damit kontinuierlich steigert. Was einst wie Science-Fiction klang, wird heute zur greifbaren Realität. Die Immobilienbranche steht an der Schwelle zu einer wegweisenden Transformation, die das traditionelle Lebenszyklus-Modell „Planen, Bauen, Betreiben“ grundlegend verändert. Künstliche Intelligenz (KI) verspricht, die Planung, Ausführung und das Management von Bauprojekten zu revolutionieren. Bereits heute können KI-Funktionen etwa 65 Prozent der Aufgaben im operativen Gebäudebetrieb optimieren, indem sie Prozesse rationalisieren, Genauigkeit und Geschwindigkeit erhöhen und eine bessere Datenverwaltung ermöglichen. Doch dies ist erst der Anfang.

Die Tragweite dieser Entwicklung wird in der jüngsten Ausgabe der weltweiten JLL-Umfrage „Future of Work“ unterstrichen: Über 90 Prozent der Führungskräfte sind überzeugt, dass KI die Arbeitsweise in der Immobilienbranche innerhalb der nächsten fünf Jahre grundlegend verändern wird. Diese Revolution betrifft nicht nur einzelne Gebäude, sondern ganze Portfolios und verspricht, Effizienz, Nachhaltigkeit und Rentabilität auf ein neues Niveau zu heben.

Wie dringlich diese Transformation ist, liegt angesichts der Klimakrise auf der Hand und ist Thema der JLL-Studie „Klimarisiken in deutschen Städten“. Ereignisse wie Starkregen, Überschwemmungen, Hitze und Waldbrände treten mittlerweile regelmäßig auf und stellen insbesondere in dicht bebauten Städten eine wachsende Gefahr dar. Um Menschen zu schützen und Städte zukunftsfähig zu gestalten, ist es notwendig, die Bebauung an diese neuen Gegebenheiten anzupassen und von Beginn des Immobilienzyklus an auf Umwelt- und Ressourcenschonung zu setzen. KI-Systeme spielen hierbei eine Schlüsselrolle. Mithilfe globaler Daten und Klimaprojektionen können bereits heute verlässliche Aussagen getroffen werden, welche Regionen wie stark durch den Klimawandel betroffen sein werden und für welche Objekte in diesen Regionen Anpassungsstrategien entwickelt werden müssen. Nicht nur aufgrund der physischen Klimarisiken lohnt es sich, transitorische Chancen zu nutzen und das traditionelle Immobilienmanagement zu überdenken: In einigen Bereichen verzeichnet die Branche schließlich einen Fachkräftemangel, was einem Übergang in die Zukunft im Weg stehen könnte. Es lohnt sich demnach, das klassische Planen, Bauen und Betreiben im Angesicht des aktuellen Reifegrads der KI-Revolution zu beleuchten.

Planen

Grundlage für die Beschleunigung von Planungsprozessen sollte idealerweise ein digitaler Zwilling des entstehenden Gebäudes sein, anhand dessen verschiedene Szenarien ausgetestet werden können und der optimale Arbeitsauflauf unter Berücksichtigung möglicher Fallstricke ausgewählt werden kann. Manch ein Akteur geht noch einige Schritte weiter: In der Planungsphase können KI-Systeme Architekten und Ingenieure bei der Optimierung von Gebäudeentwürfen unterstützen. Die Analyse zahlreicher Variablen wie Sonneneinstrahlung, Windverhältnisse und Materialien ermöglicht es, energieeffiziente und nachhaltige Designs zu entwickeln. Solche Software nutzt maschinelles Lernen, um Planern verschiedene Vorschläge zur Verbesserung zu unterbreiten.

Ein anderes Planungsunternehmen hingegen nutzt KI-Systeme, um die Auswirkungen von Gebäudedesigns auf das Wohlbefinden der Nutzer zu optimieren und somit nicht nur zu menschenzentrierten, sondern auch zu nachhaltigeren Gebäuden beizutragen. Faktoren wie Tageslichteinfall, Akustik und Luftqualität werden berücksichtigt und fließen direkt in den Planungsprozess ein. Darüber hinaus ist die KI-Architektursoftware auch in der Lage, optimierte Grundrisse anhand des nutzbaren Baurechts zu entwerfen.

Generell lohnt es sich, im Rahmen der Bauablauf- und Logistikplanung Tools einzusetzen, die verschiedene Szenarien durchspielen und so die perfekten Abläufe für Projekte ermitteln. Dieser Vorgang könnte auf der einen Seite dem Fachkräftemangel entgegenwirken, da weniger Kapazitäten gebunden werden. Auf der anderen Seite erfordert dies allerdings neue Kenntnisse und neue Jobs, die sich im weitesten Sinne auf die Erhebung, die Analyse und Auswertung von verschiedensten Daten fokussieren.

Bauen

In der Bauphase unterstützt KI Architekten und Ingenieure bei der Erstellung nachhaltiger Designs. Durch regelbasierte 3D-Modellgenerierung können verschiedene Designmöglichkeiten schnell erkundet und ihre Nachhaltigkeitsperformance simuliert werden. Dies führt zu optimierten Entwürfen, die sowohl ästhetisch ansprechend als auch energieeffizient sind. Während der Bauausführung helfen KI-gestützte Systeme bei der dynamischen und regelmäßig anpassbaren Optimierung von Bauzeitplänen, der Ressourcenzuweisung und der Koordination von Großeinkäufen. So erklärt es auch meine Kollegin und Vice President of Software Engineering bei JLL, Vidhya Balakrishnan: Erhebliche Material-, Geräte- und Arbeitskosten können eingespart werden, insbesondere, wenn mehrere Gebäude innerhalb eines Portfolios gleichzeitig saniert werden – und das lediglich durch den Einsatz von KI zur Optimierung von Zeitplänen und größeren Materialbeschaffungsmaßnahmen. Zusätzlich ermöglichen KI-gestützte Überwachungssysteme eine genaue Dokumentation des Baufortschritts, die Überprüfung der Arbeitsqualität und die frühzeitige Erkennung potentieller Probleme oder Gefahren. Dies trägt dazu bei, Verzögerungen zu minimieren und sicherzustellen, dass Nachhaltigkeits- und Sicherheitsstandards eingehalten werden. BIM visualisiert nicht nur fertiggestellte Projekte, sondern erleichtert auch die Zusammenarbeit verschiedener Teams, indem alle Beteiligten Zugriff auf die relevanten Daten für das Projektmanagement, die Zeitplanung, Aufgabenverwaltung und die Verfolgung des Fortschritts haben und so während des Prozesses leichter Entscheidungen treffen können.

Betreiben/Managen

Im Betrieb von Gebäuden zeigt sich das volle Potential von KI. Intelligente Systeme analysieren kontinuierlich Daten aus verschiedenen Quellen, um Energiebedarfsmuster von Gebäuden zu erlernen und so die Energieeffizienz zu optimieren. Bereits kleinere bis mittelaufwendige Nachrüstungen – von der Beleuchtung bis hin zu mechanischen, elektrischen und sanitären Anlagen – können den Energieverbrauch um zehn bis 40 Prozent senken. Durch die Analyse von Nutzungsmustern, Wetterdaten und anderen Faktoren steuern intelligente Gebäudemanagementsysteme den Energieeinsatz präzise, sparen somit Kosten ein und reduzieren den ökologischen Fußabdruck. Während zudem regulatorische Anforderungen hinsichtlich Mindestenergiestandards für eine große Verunsicherung sorgen, können KI-Systeme Benchmarks für fehlende Daten kreieren und somit Handlungserfordernisse aufzeigen.

Intelligente Sensorsysteme in Gebäuden sammeln kontinuierlich Daten über den Zustand von Anlagen, Strukturen und Flächen. KI-Algorithmen analysieren diese Informationen, ermöglichen eine zeiteffiziente Reinigung und können potentielle Probleme frühzeitig erkennen, bevor sie zu kostspieligen Ausfällen führen.

Zukunftspotential

Zwar befindet sich die KI noch in ihrer Frühphase, dennoch bieten die verschiedenen Lösungen bereits jetzt enormes Potential, nicht zuletzt, da ihre Entwicklung in rasanter Geschwindigkeit voranschreitet. Insbesondere repetitive Aufgaben wie Automatisierungen, Organisation und Strukturierungen von Prozessen bieten eine große Kosten- und Zeitersparnis. Gleichermaßen von Relevanz ist aber auch, zu verstehen, welche Faktoren KI in naher Zukunft nicht unmittelbar ersetzen kann, beispielsweise immaterielle Faktoren eines Gebäudes zu erkennen, in Interaktionen notwendige Zusicherungen und Ermutigungen zum Beispiel in Verhandlungen verständlich zu machen oder Authentizität, Kreativität und Erfahrung zu vermitteln.

Zudem erfordern KI-Anwendungen eine leistungsfähige Dateninfrastruktur und Rechenzentren mit hohem Energiebedarf, weshalb die Technologie zunächst wenig nachhaltig erscheint. Um dem entgegenzuwirken und einen nachhaltigen Betrieb zu gewährleisten, ist die Nutzung und Produktion erneuerbarer Energien direkt an den Rechenzentren essenziell, zum Beispiel durch die Installation von Photovoltaikanlagen auf ihren Dächern oder die Einspeisung der produzierten Abwärme in die kommunalen Wärmenetze, was zeitgleich den wachsenden Energiebedarf in nahen Quartieren zu decken helfen kann.

Das theoretische Bewusstsein für das Potential von KI, wie zahlreiche Umfragen zeigen, ist vorhanden. Jetzt kommt es darauf an, das Wissen und die Möglichkeiten in die Praxis umzusetzen. Dafür braucht es angewandte Lösungen und Pioniere, die sich trauen, die Ideen zu erproben. Das ist längst nicht selbstverständlich, wenn wir uns allein die Nutzung von BIM in den meisten Bauprojekten ansehen. Wie bald uns KI mit noch effizienteren und praktischeren Lösungen in unseren Nachhaltigkeitsbestrebungen unterstützen wird, hängt also vor allem von uns selbst ab.

KI-basierte Modellierung und Analyse als Schlüssel zur Nachhaltigkeit im Bau- und Immobilienwesen
Quelle: Jones Lang LaSalle SE

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