Wie innovative Unternehmen ihre Produkte nach Cradle-to-Cradle-Kriterien optimieren

Unternehmen, die auch künftig noch erfolgreich sein wollen, müssen in Kreisläufen denken. Das ist inzwischen Konsens – ob bei Umweltorganisationen, im politischen Diskurs oder bei Industrieverbänden. Es führt kein Weg an der Umsetzung einer Kreislaufwirtschaft vorbei, und dafür gibt es zahlreiche Gründe. Zunehmende Ressourcenknappheit in vielen Sektoren, Unsicherheiten und Abhängigkeiten in der Lieferkette sowie steigende Energiepreise sind nur die ökonomisch offensichtlichsten.

Auf europäischer und nationaler Ebene werden derzeit die Rahmenbedingungen für eine zirkuläre Transformation der Wirtschaft verändert. Die im Circular Economy Action Plan formulierten Ziele gehen in Brüssel bereits in Gesetzgebungsverfahren ein und werden auf Bundesebene in die Nationale Kreislaufwirtschaftsstrategie eingebracht: strengere Qualitätsvorschriften für Produkte und Materialien, strikte Reportingpflichten und eine EU-Taxonomie, durch die Investitionen in nachhaltige Sektoren, Produkte und Unternehmen gelenkt werden. Der Druck auf Unternehmen steigt.

Dass diese Entwicklung auch Unsicherheit auslöst, stellen wir in Gesprächen mit Unternehmen immer wieder fest. Sie entsteht auch aufgrund einer begrifflichen Unschärfe: Was heißt „Kreislaufwirtschaft“ oder „zirkulär wirtschaften“ genau? Und womit oder wie können Unternehmen bei der Transformation ihrer Produkte, Prozesse oder Geschäftsmodelle beginnen? Das betrifft insbesondere Firmen, die ihr Geschäftsmodell vor dem Hintergrund zunehmender Ressourcenknappheit und steigender regulatorischer Anforderungen ganzheitlich und umfassend verändern möchten. Cradle to Cradle (C2C; dt. von der Wiege zur Wiege) ist ein Instrument, um diese Herausforderung proaktiv anzugehen. Der Ansatz zielt nicht nur darauf ab, die negativen Umweltauswirkungen, die perspektivischen Wettbewerbsnachteile und die sozialen Probleme unseres heutigen linearen Wirtschaftens etwas weniger schlimm ausfallen zu lassen. Ziel ist es, durch wirtschaftliches Handeln positive ökonomische, ökologische und soziale Auswirkungen zu erzielen.

Strategie für echten Mehrwert

Der negative Einfluss, den unser Umgang mit Ressourcen auf das Klima, unsere Ökosysteme und auf unsere Gesundheit hat, ist seit Jahrzehnten bekannt. Seit Ende der 1980er Jahre versuchen wir daher, durch Verzicht, Reduktion und Effizienzsteigerungen weniger schädlich zu wirtschaften. Diese Strategie packt das Problem der linearen Wirtschaftsweise jedoch nicht bei der Wurzel. Denn weniger schlecht ist noch lange nicht gut. Weniger CO2 in die Atmosphäre zu emittieren oder weniger endliche Ressourcen zu verschwenden verlangsamt die daraus resultierenden Probleme, löst sie aber nicht.

Nur bei Produkten und Prozessen mit positiver Wirkung ergibt es Sinn, sie im zweiten Schritt zu optimieren. Ein Beispiel dafür ist die Energieeffizienz, die bei Neubauten und Sanierungen in den vergangenen Jahren stark subventioniert wurde. Als Dämmstoffe sind dabei nach wie vor Materialien zugelassen, die gesundheitsschädigend und nicht kreislauffähig sind. Künstliche Mineralfasern können beispielsweise Haut, Augen und Atemwege reizen. Und sie können in der Regel nicht ohne Qualitätsverlust recycelt werden und werden deponiert oder verbrannt. Sie sorgen zwar während der Nutzung dafür, dass energieeffizienter geheizt und gekühlt werden kann, werden anschließend jedoch zu Müll, erzeugen Entsorgungskosten und gehen als Rohstoffe verloren. Vorausschauendes Wirtschaften sieht anders aus.

Kreislauffähig und materialgesund

Vorausschauendes Wirtschaften gelingt nur mit Produkten, die einen ökologischen, ökonomischen und sozialen Mehrwert haben. Dafür ist es entscheidend, dass wir Produkte abgeleitet von ihrem konkreten Nutzungsszenario designen. Welche Funktion(en) soll das Produkt in welchem Kontext erfüllen, und werden seine Bestandteile in der Biosphäre zirkulieren, in der Technosphäre oder in Kaskaden? Gelangen Bestandteile des Produkts in die Umwelt, müssen diese für die Biosphäre geeignet sein. Wenn nicht, kann das Produkt in der Technosphäre zirkulieren.

Das Kriterium der Kreislauffähigkeit wird erreicht, indem Produkte bereits so designt werden, dass ihre Materialien in der Biosphäre oder in der Technosphäre zirkulieren und immer wieder Nährstoff für etwas Neues werden können. Bei der Auswahl von Materialien ist die Materialgesundheit ausschlaggebend: Produkte sollten nur aus Bestandteilen bestehen, die im jeweiligen Nutzungsszenario des Produkts keine schädlichen Auswirkungen haben. In der Produktion sowie im Dienstleistungssektor müssen faire Arbeitsbedingungen und -formen der Standard sein. Zudem sollten alle Produkte ausschließlich mit erneuerbaren Energien aus kreislauffähigen Anlagen hergestellt sein. Bei der Produktion, aber auch im Kontext des Bauwesens und der Landwirtschaft muss Wasser sauber und in Kreisläufen gehalten werden, das Management klimabeeinflussender Treibhausgase einen positiven Einfluss auf die Luftqualität haben und der regenerative Umgang mit Land fruchtbaren und gesunden Boden aufbauen.

Dieser Designansatz sichert nicht nur eine lebenswerte Zukunft auf dem Planeten. Er ist auch die Grundlage dafür, dass in den kommenden Jahrzehnten ausreichend Ressourcen für wirtschaftliches Handeln zur Verfügung stehen. Immer mehr Unternehmen haben das erkannt und passen ihre Produkte und Produktionsprozesse dahingehend an. Als Cradle-to-Cradle-NGO beschleunigen wir diese Transformation seit mehr als zehn Jahren: durch Bildungsformate, indem wir Politik, Wirtschaft, Zivilgesellschaft und Wissenschaft miteinander vernetzen und indem wir durch Transformationsprojekte wie die Sanierung unseres Bildungszentrums in einem Ostberliner Plattenbau nach C2C-Kriterien sowie der Gestaltung von drei Großkonzerten der Bands „Die Ärzte“ und „Die Toten Hosen“ nach C2C-Kriterien zeigen, wie umsetzbar dieser Ansatz heute bereits ist – und wo noch Hürden zu überwinden sind.

Unsere Gesprächs- und Umsetzungspartner aus der Wirtschaft reichen dabei von innovativen Start-ups, die C2C von Beginn an mitdenken, über mittelständische Unternehmen, die aufgrund ihrer strategisch langfristigen Denkweise ihre Produkte und Lieferketten frühzeitig umstellen, bis hin zu Großkonzernen, die sich mit C2C einen Wettbewerbsvorteil erarbeiten, indem sie bereits heute große Teile der in den nächsten Jahren kommenden strengeren Regulierungen umsetzen.

Kunststoffe sinnvoll designen

Ein Beispiel für ein solches großes Unternehmen ist der Hersteller von wiederverwendbaren Kunststoffbehältern (Reusable Plastic Containers, RPC), IFCO Systems. Der 2019 für 2,5 Milliarden US-Dollar vom Finanzinvestor Triton und dem Staatsfonds des Emirats Abu Dhabi übernommene Hersteller erlöste 2022 rund 1,2 Milliarden Euro. IFCO hat einen geschlossenen Kreislauf entlang der Lieferkette und der gesamten Nutzungsdauer seiner RPCs umgesetzt. Täglich kommen rund 380 Millionen Kisten zum Einsatz. Sie werden bei Obst- und Gemüseerzeugern befüllt, kommen dann über die Verteilerzentren von Supermarktketten in die Märkte, werden nach dem Abverkauf der Ware zurückgenommen, von IFCO gereinigt, desinfiziert, bei Bedarf repariert und anschließend wieder in den Umlauf gebracht.

Innerhalb des IFCO-Systems sind die RPCs recycelbar, und nicht mehr reparierbare Behälter werden geschreddert und zu neuen RPCs verarbeitet. Hier zeigt sich: Kunststoffe können ein sinnvoller Bestandteil einer nachhaltigen Wirtschaft sein, wenn wir sie so designen, dass sie kein schädliches Mikroplastik erzeugen und wir ihre Rohstoffe in geschlossenen Kreisläufen halten. Wenngleich IFCO 97,5 Prozent aller Produktabfälle am Ende ihrer Lebensdauer wiederverwendet, weist selbst CEO Michael Pooley darauf hin, dass Recycling allein keine Lösung sei, um Abfallmengen zu reduzieren. Dazu, so sagte er 2021 in einem Interview mit uns, müssten zirkuläre Geschäftsmodelle für Produkte und ihre Verpackungen als neuer Standard gefördert werden.

Heimische Holzabfälle im Kreislauf

Wie ein solches Geschäftsmodell aussehen kann, zeigt Novo-Tech, dessen Holzverbundwerkstoff GCC (German Compact Composite) zu den Top20-Baumaterialien weltweit zählt, die von der US-Organisation Cradle to Cradle Products Innovation Institute nach C2C-Kriterien zertifiziert sind. Der Holz-Polymer-Werkstoff für Terrassendielen oder Fassaden besteht zu 75 Prozent aus Abfällen wie Holzspäne aus der regionalen Hobel- und Sägeindustrie, die mit recyceltem Kunststoff gebunden werden.

Um die Rückführung von genutztem Material sicherzustellen, hat das Unternehmen aus Sachsen-Anhalt drei Strukturen entwickelt. Neben klassischen Kaufverträgen werden Nutzungsverträge angeboten, die auf dem Nießbrauchrecht basieren. Nach einem vereinbarten Zeitraum geht das Material zurück an den Hersteller. Des Weiteren kann Ware proaktiv bei Rücknahmehändlern abgegeben werden. Bauherren und Bauherrinnen, die ihr Projekt registrieren, werden zudem nach gegebener Zeit kontaktiert, um eine mögliche Rücknahme zu klären. Um die Materialqualität zu sichern, hat Novo-Tech mit der Universität Magdeburg eine selbstlernende App entwickelt, die das GCC-Material erkennt und eine sortenreine Sortierung ermöglicht. Die Rückläufer werden geschreddert und wieder in die Produktion eingeführt. Dadurch sichert das Unternehmen neben den ökologischen Vorteilen des Geschäftsmodells den eigenen Rohstoffbedarf der Zukunft ab.

Reiniger für beide Kreisläufe

Ein C2C-Produkt zirkuliert in endlosen Kreisläufen – und das bei gleichbleibender Qualität des Materials, je nachdem, ob es für biologische oder technische Kreisläufe konzipiert ist. Der Mittelständler Werner & Mertz, bekannt durch seine Frosch-Marke, stellt Reinigungs- und Pflegeprodukte her, deren Inhalte durch den Verzicht auf schädliche Zusätze und die Nutzung pflanzlicher Tenside für die Biosphäre geeignet sind. Denn Spülmittel oder Reiniger gelangen bei der Nutzung unweigerlich in die Umwelt und in Kontakt mit unserer Haut. Gleichzeitig kann die Verpackung in technischen Kreisläufen zirkulieren. Das Unternehmen erlöst rund 500 Millionen Euro Jahresumsatz und steigerte in den vergangenen zehn Jahren den Rezyklatanteil in seinen Produkten stufenweise. Heute besteht ein großer Teil der Frosch-Verpackungen zu 100 Prozent aus Rezyklat, davon stammen 75 Prozent aus dem Gelben Sack, der Rest aus der PET-Flaschensammlung der Getränkeindustrie.

Diese Zusammensetzung konnte nur durch Investitionen in ein eigenes Sortier- und Recyclingsystem gemeinsam mit dem Partner Alpla gelingen. In der Breite werden nach wie vor rund 40 Prozent der Inhalte des Gelben Sacks verbrannt. Grund dafür ist das lineare Design der meisten Verpackungen, die aus Kompositmaterialien bestehen, untrennbar verklebt sind oder deren Rezyklierbarkeit durch Zusätze wie Weichmacher oder Farben verhindert wird. C2C-Verpackungen dagegen bestehen im Idealfall aus Monomaterialien und kommen ohne schädliche Zusätze aus. Die Flaschen der C2C-Reiniger sind kreislauffähig designt und für die Kreislaufführung optimiert – etwa indem sie transparent sind und so in den Sortieranlagen besser erkannt werden. Auch hier gilt: Eine echte Kreislaufwirtschaft sorgt nicht nur dafür, dass endliche Ressourcen zirkulieren und ihren Wert erhalten können, sondern auch dafür, dass die Kostenbasis der Unternehmen perspektivisch sinkt.

All diese Unternehmen haben ihren C2C-Weg mit einem Produkt begonnen und es entlang der C2C-Kriterien optimiert. Damit einher gingen Anpassungen im Produktionsprozess, in der Lieferkette und bei Zulieferern und Partnern – im Idealfall in Kooperationen, die beiden Seiten zum Vorteil gereichen. Flankiert wurden diese Anpassungen von zielgerichteten Investitionen, die auf die C2CStrategie einzahlen. Und um genau diese Strategie dreht es sich im Kern: Wenn C2C richtig und als Leitbild einer Zukunftsstrategie implementiert wird, verändert es ein Unternehmen nachhaltig und im besten Sinne. Denn dann kann der Ansatz auf allen Ebenen für Mehrwert sorgen: für die Kundinnen und Kunden, die Belegschaft, die finanziellen Stakeholder – und für unsere Gesundheit und unsere Umwelt.

Aktuelle Beiträge