Die Innovationslandschaft in Deutschland steht unter hohem Druck: Technologische Entwicklungen verlaufen rasant, Gründungen werden komplexer, und die Anforderungen an benötigte Infrastruktur steigen. Wer heute ein Start-up im Bereich Biotechnologie, Robotik oder Energie gründet, braucht weit mehr als einen Schreibtisch – gefragt sind Labore, Messräume, 3D-Drucker und außerdem Zugang zu Know-how und direkte Nähe zu Partnern. Technologie- und Gründerzentren (TGZ) bieten genau das, und doch stehen sie selten im Mittelpunkt der öffentlichen Innovationsdebatte.
Seit Jahrzehnten sind TGZ ein tragender Baustein regionaler Innovationskraft. Doch während neue Förderprogramme und spektakuläre Innovationsformate Schlagzeilen machen, geraten diese bewährten Orte zunehmend ins Hintertreffen – mit Folgen für Start-ups, Mittelstand und die Wettbewerbsfähigkeit des Standorts Deutschland.
Unterschätzte Basis der Innovationslandschaft
Sie stehen nicht im Rampenlicht, schmücken keine Förderflyer und sind selten Teil der großen Digitalstrategien – und doch bilden TGZ vielerorts das Fundament einer funktionierenden Innovationsökonomie. Als regionale Infrastrukturen unterstützen sie technologieorientierte Start-ups, bieten physische Räume mit spezifischen Anforderungen – von Highspeed-Internet bis Reinraum – und verbinden junge Unternehmen mit etablierten Akteuren aus Wissenschaft und Wirtschaft.
Dabei hat sich die Rolle der Zentren in den letzten Jahren stark gewandelt. Längst sind sie keine reinen Vermieter mehr, sondern Akteure der Regionalentwicklung. Sie initiieren Netzwerke, betreiben Standortmarketing, arbeiten mit Hochschulen und Wirtschaftsförderungen zusammen, organisieren Events und beraten Gründende – oft mit einem kleinen Team.
Gerade in strukturschwächeren Regionen sind sie oft die einzigen Orte, an denen technologiegetriebene Gründungen überhaupt realistisch umsetzbar sind. In Innovationsclustern schaffen sie Andockpunkte für Kooperationen zwischen Mittelstand, Forschung und Start-ups. Ihre Wirkung ist nicht spektakulär, aber stetig – und sie entfalten ihre Kraft dort, wo Innovation am meisten Zeit braucht: im Aufbau von Netzwerken, im Vertrauen zwischen Partnern und im pragmatischen Alltag junger Unternehmen. Denn Innovation entsteht selten über Nacht.
Wettbewerbsfaktor Mittelstand
Für den deutschen Mittelstand sind TGZ wichtige Partner. In vielen Regionen stellen sie die einzige Brücke zwischen Forschung und Anwendung dar. Sie bieten Orte für gemeinsame Entwicklungsprojekte, für den Zugang zu Start-ups, für Ausgründungen aus Unternehmen. In Zeiten, in denen Lieferketten unsicherer und Märkte dynamischer werden, kann diese Nähe zur Innovation über Wettbewerbsfähigkeit entscheiden.
Gerade im Mittelstand ist die Innovationskultur oft praxisnah, iterativ, auf den Kunden ausgerichtet. Die Zusammenarbeit mit Start-ups oder Hochschulen scheitert jedoch oft an fehlenden Schnittstellen. TGZ schließen diese Lücke, wenn man sie lässt. Sie ermöglichen den Zugang zu jungen Talenten, bieten Infrastruktur für gemeinsame Projekte und senken die Einstiegshürden für Zusammenarbeit.
Gefangen in gestrigen Strukturen
Die aktuelle Herausforderung: Viele der Zentren sind in ihrer Entwicklung massiv eingeschränkt – nicht wegen fehlender Ideen, sondern wegen veralteter Förderbedingungen und wirtschaftlicher Engpässe. Die Gebäude stammen häufig aus den Neunzigerjahren, errichtet mit EU- oder Bundesmitteln, versehen mit Zweckbindungen, die wirtschaftliche Handlungsfähigkeit blockieren. Investitionen in Sanierung, energetische Modernisierung oder digitale Infrastruktur scheitern nicht am Willen, sondern an regulatorischen Bremsen.
In vielen Fällen dürfen TGZ keine Gewinne erzielen, da sie sonst Rückzahlungen an die Fördermittelgeber leisten müssten – inklusive Zinsen. Gleichzeitig verbieten Trägerstrukturen – häufig kommunale – eine unternehmerische Weiterentwicklung. Mietpreise sind gedeckelt, Einnahmen fließen nicht in Rücklagen, sondern müssen sofort ausgegeben werden. Diese Vorgaben verhindern nicht nur notwendige Investitionen, sondern untergraben langfristig die Wettbewerbsfähigkeit gegenüber flexibleren, privatwirtschaftlich geführten Akteuren.
Politische Aufmerksamkeit? Fehlanzeige.
Im politischen Diskurs dominieren derzeit andere Formate: Reallabore, Reallaborscouts, Exzellenzcluster, KI-Zentren. Was davon langfristig trägt, ist ungewiss – was TGZ bereits seit 30 Jahren leisten, bleibt oft unsichtbar. Dabei könnten sie gerade jetzt eine entscheidende Rolle spielen: als dezentrale Innovationsanker, als Orte des Wandels im Mittelstand, als physische Infrastruktur für den viel beschworenen „Transfer aus der Forschung in die Praxis“.
Was fehlt, sind Programme, die den bestehenden Infrastrukturen den Rücken stärken.
Es fehlt an gezielter Modernisierungsförderung für funktionierende Infrastrukturen. Es fehlt an politischen Botschaften, die nicht nur auf Neugründungen zielen, sondern den Wert des Gewachsenen anerkennen.
Was jetzt zu tun ist: Das GIIP als Hebel
Ein „German Innovation Infrastructure Program“ (GIIP) könnte die Lösung sein. Das Ziel: keine spektakuläre Leuchtturmförderung, sondern eine systematische Stärkung der vorhandenen Innovationsorte. Das Programm müsste bundesseitig koordiniert und über etablierte Kanäle – etwa die KfW oder Landesförderbanken – ausgestaltet werden. Denkbar sind zinsgünstige Kredite, Tilgungszuschüsse oder Investitionsförderungen. Wer 25 Jahre ohne Gewinnabsicht gewirkt hat, sollte nicht für eine notwendige umfassende Modernisierung sanktioniert werden. Es braucht Spielräume für wirtschaftliche Erneuerung, inklusive neuer Geschäftsmodelle und unternehmerischer Eigenverantwortung.
Ein solches Programm sollte nicht bei Dämmung und WLAN enden. Es geht auch um neue Nutzungskonzepte: Coworking plus Labor, Shared Services für Start-ups, hybride Räume für Forschung und Anwendung. Digitalisierung von Verwaltungsprozessen, Smart-Building-Technologien, Barrierefreiheit, Energieautarkie – all das sind Anforderungen, die längst auch für Bestandszentren gelten. Doch ohne Investitionen bleiben sie unerfüllt.
Ein solches Programm wäre nicht nur eine pragmatische Investition – es wäre ein starkes politisches Signal: dass Innovationspolitik nicht nur für die Ideen von morgen gemacht wird, sondern auch die Orte stärkt, in denen diese Ideen heute schon Wirklichkeit werden.
Fazit: Innovation braucht Orte – und eine neue Infrastrukturpolitik
Deutschland spricht viel über technologische Exzellenz, digitale Souveränität und die Wettbewerbsfähigkeit im globalen Innovationswettlauf. Doch oft bleibt dabei das Fundament unbeachtet: die konkreten Räume, in denen Ideen entstehen, getestet und zur Marktreife gebracht werden. TGZ sind mehr als Gebäude – sie sind Plattformen, Möglichmacher, Schnittstellen zwischen Wissenschaft, Wirtschaft und Unternehmertum. Gerade in Zeiten des Umbruchs können sie eine Chance sein.
Denn Künstliche Intelligenz, Biotechnologie oder Quantentechnologie entfalten ihre Wirkung nicht im luftleeren Raum. Sie brauchen physische Infrastruktur: Labore, Werkstätten, digitale Netze und stabile Netzwerke.
Es ist Zeit umzudenken: Wer Innovation fördern will, muss bestehende Infrastrukturen stärken. Wer die Innovationskraft des Mittelstands sichern will, braucht funktionierende Räume für Transfer und Kooperation. Und wer die wirtschaftliche Transformation gestalten will, sollte das Bestehende, das seine erfolgreichen Konzepte vielfach unter Beweis gestellt hat, für die Zukunft ertüchtigen und anpassen. Denn: Wer über die Zukunft spricht, darf die Orte der Gegenwart nicht vergessen.




