Steffen Nagel ist seit 2014 Managing Director Sales & Marketing der Liebherr-Hausgeräte GmbH und gehört ihrer Geschäftsleitung an. In seiner Funktion verantwortet er die globale Marketing- und Vertriebsstrategie des Unternehmens. Zuvor hatte Steffen Nagel verschiedene Vertriebsfunktionen innerhalb der Hausgeräte-Sparte von Liebherr inne. So war er von 2006 bis 2014 für die Liebherr-Export AG in der Schweiz als Managing Director und Head of Business Unit „Importers EMEA“ tätig und gestaltete die Vertriebsstruktur für Märkte in Europa, dem Nahen Osten und Afrika. Tiefgreifende Vertriebs- und Markterfahrungen in einem globalen Umfeld erwarb er im Vorfeld als Sales Director für die Liebherr-Export AG. Bei dieser auf den internationalen Vertrieb ausgerichteten Gesellschaft von Liebherr mit Sitz in Nussbaumen (Schweiz) begann 1997 Steffen Nagels beruflicher Werdegang.
Herr Nagel, von der Wegwerfgesellschaft zur Kreislaufwirtschaft – diese Transformation prägt aktuell viele Branchen. Welches fundamentale Umdenken braucht es bei Herstellern und Verbrauchern, damit Kreislaufwirtschaft funktioniert? Was braucht es dafür?
Steffen Nagel: Wenn wir auf unsere Branche der Hausgeräte schauen, müssen Hersteller Produkte von Grund auf so konzipieren, dass sie bereits im Designprozess End-of Life-Szenarien berücksichtigen. Es geht darum, kreislauffähige, langlebige und reparierbare Lösungen zu entwickeln, indem zum Beispiel die Materialvielfalt reduziert wird oder der Geräteaufbau komplett überdacht wird. Dabei darf es keine Kompromisse bei den funktionalen und emotionalen Mehrwerten für die Verbraucher geben, deren rege und bewusste Nachfrage schließlich der Schlüssel für die Verbreitung solcher nachhaltigen Produktkonzepte ist. Gleichzeitig sollten die Hersteller eine gewisse Wertschätzung von langlebigen und kreislauffähigen Produkten von Seiten der Verbraucher voraussetzen dürfen. Beide Seiten brauchen dafür Offenheit für Innovationen, die Bereitschaft zur Zusammenarbeit entlang der gesamten Wertschöpfungskette, zum Beispiel auch zwischen Herstellern und Recyclingunternehmen, und ein Bewusstsein für die Auswirkungen des eigenen Handelns auf Umwelt und Ressourcen.
Der FNXa 522i ist der erste Gefrierschrank mit Cradle-to-Cradle-Zertifizierung. Erklären Sie bitte die dahinterstehende BluRoX-Techno logie: Wie funktioniert die Vakuum Perlit-Isolierung konkret und was macht sie so besonders?
Steffen Nagel: BluRoX nutzt zur Isolierung anstatt des herkömmlichen PU-Schaums ein Vakuum, das durch fein gemahlenes Lavagestein, sogenanntem Perlit, stabilisiert wird. Ein Vakuum bietet energietechnisch die bestmögliche Isolierung. Perlit besitzt aufgrund seiner kristallinen Mikrostruktur eine sehr geringe Wärmeleitfähigkeit. Durch diese Kombination entsteht eine unübertroffen energieeffiziente und gleichzeitig kompakte Lösung zur Kälteisolierung. Die BluRoX-Isolierungstechnologie ermöglicht außerdem dünnere Wände, wodurch etwa 30 Prozent mehr Stauraum im Inneren entsteht, ohne dass die äußeren Maße des Geräts sich verändern. Das Kältemodul befindet sich kompakt im Gerätesockel und kann dadurch bei Bedarf einfach entnommen und repariert werden. In konventionellen Kühlgeräten dient PU-Schaum sowohl als Dämmstoff als auch als strukturelles Klebeelement, das die einzelnen Kompartimente unlösbar miteinander verbindet. Weil die BluRoX-Isolierung nicht mit den umliegenden Komponenten verklebt ist, lassen sich am Ende der Produktlebensdauer die Materialien sortenrein separieren: Perlit kann ohne aufwändige Aufbereitung erneut als Dämmstoff oder in anderen Industrien eingesetzt werden. Stahl und Kunststoffe können in gleichbleibend hoher Qualität in Stoffkreisläufe zurückgeführt werden.



Modularer Aufbau: Das Kaltemodul im Geratesockel ist austauschbar, die Vakuum-Isolierung nicht verklebt – fur einfache Reparatur und Materialtrennung // Quelle: Liebherr-Hausgeräte GmbH
Zehn Jahre Entwicklung. Welche Investition steckt hinter BluRoX und wann rechnet sich diese betriebswirtschaftlich?
Steffen Nagel: BluRoX ist das Ergebnis eines intensiven Innovationsprozesses mit erheblichem Forschungs- und Entwicklungsaufwand. Die Investitionen flossen beispielsweise in Materialforschung, Designoptimierung, Testreihen und die Entwicklung neuer Fertigungsprozesse und Produktionsanlagen. Auch wenn wir keine genaue Investitionssumme nennen möchten, ist es wie bei jedem unserer Entwicklungsprojekte erklärtes Ziel, letztlich ein profitables Produkt auf den Markt zu bringen und für unsere Kunden einen realen Mehrwert zu schaffen. Sicherlich rechnen wir aber bei dem enormen Innovationsgrad von BluRoX mit einem längeren Zeitraum bis zum Break-even, als dies in herkömmlichen Entwicklungsprojekten der Fall ist.
Nachhaltigkeit steht hoch im Kurs, aber beim Kauf der Verbraucher:innen zählt oft der Preis. Wie erleben Sie dieses Spannungsfeld in der Realität?
Steffen Nagel: Innerhalb unserer Kundengruppe beobachten wir einen wachsenden Einfluss von Nachhaltigkeitsaspekten. Gleichzeitig sehen wir, dass sich ein Mehrpreis für entsprechende Lösungen aus Sicht vieler Käufer nicht allein durch das nachhaltige Produktkonzept rechtfertigt. BluRoX verbinden wir deshalb mit weiteren handfesten Vorteilen für die Käufer, etwa das um rund 30 Prozent größere Nutzvolumen im Vergleich zu herkömmlichen Geräten mit den gleichen Außenmaßen, höchste Energieeffizienz und eine einfache Reparierbarkeit.
BluRoX ermöglicht laut Liebherr die Wiederverwendung aller Komponenten. Wie funktioniert das praktisch, damit es auch nutzerfreundlich bleibt? Haben Sie bereits Pilotprojekte für Rücknahme und Wiederverwertung?
Steffen Nagel: Die BluRoX-Geräte sind so konstruiert, dass ihre Komponenten am Lebensende leicht getrennt und wiederverwendet werden können. Der Perlit, der den Vakuum-Gehäusekörper stabilisiert, kann aus der Folie herausgenommen werden, die wiederum einfach vom Gehäuseblech und dem Kunststoff-Innenbehälter separiert werden.
Nachdem wir den sehr umfangreichen Industrialisierungsprozess der Technologie nun weitgehend abgeschlossen haben, arbeiten wir aktuell mit Recyclingunternehmen und Logistikpartnern zusammen, um praktikable Rücknahme- und Wiederverwertungskonzepte zu entwickeln und zu testen. Pilotprojekte laufen, um einen geschlossenen Materialkreislauf zu etablieren. Stand heute haben wir die finale Lösung noch nicht festgelegt.
Kreislaufwirtschaft braucht Systemwandel. Wie könnte eine Kooperation mit Konkurrenten aussehen, ohne dass jeder das Rad neu erfinden muss? Welche regulatorischen Rahmenbedingungen braucht es, damit sich solche Nachhaltigkeitsinnovationen schneller durchsetzen?
Steffen Nagel: Kooperationen entlang der gesamten Wertschöpfungskette sind sicherlich ganz wesentliche Voraussetzungen, damit verwendete Materialien und Produkte im Sinne einer Kreislaufwirtschaft möglichst lang im Umlauf bleiben. Die Harmonisierung von Standards und klare Definitionen für Kreislaufdesign können Innovationen zudem beschleunigen. Kreislaufwirtschaft kann in der Breite dann an Fahrt aufnehmen, wenn sie neben den ökologischen auch klare ökonomische Vorteile in der Wertschöpfung mit sich bringt.
Langfristigkeit ist leichter gesagt als gelebt. Wie haben Ihre Teams diese Marathon-Innovation mitgetragen?
Steffen Nagel: Langfristige Innovationsprojekte wie BluRoX erfordern Engagement, Ausdauer und eine klare Vision. Bei BluRoX bot sich Talenten die Möglichkeit, an einem nachhaltigen, gesellschaftlich relevanten und pionierhaften Projekt mitzuwirken – das motiviert! Gleichzeitig spielt die Unternehmenskultur dabei eine tragende Rolle. Eine langfristige Ausrichtung, Innovationsstärke und verantwortungsbewusstes Wirtschaften sind wichtige Grundwerte von Liebherr.
Liebherr als Familienunternehmen „denkt in Generationen, nicht nur in Geschäftszyklen.“ Wie prägt diese Philosophie Ihre täglichen Managemententscheidungen und welche Freiheiten gibt Ihnen das bei langfristigen Innovationen?
Steffen Nagel: Unabhängig von kurzfristigen Geschäftszyklen agieren zu können schafft eine wichtige Grundvoraussetzung für langfristige Investitionen in Innovation und Nachhaltigkeit. Diese Philosophie prägt tägliche Entscheidungen und gibt uns damit den Freiraum für mutige Projekte wie BluRoX, in einer Firmenkultur, die unternehmerische Verantwortung als grundlegendes Prinzip versteht.
Die Fragen stellte Maike Waismantel.




