Schätzungsweise 630.000 Jugendliche unter 25 Jahren sind laut einer Studie der Bertelsmann Stiftung weder in Schule, Ausbildung noch Beschäftigung – sogenannte NEETs (Not in Employment, Education or Training). Für viele von ihnen ist der Übergang von der Schule in eine Ausbildung mit großen Hürden verbunden. Die Gründe dafür sind vielseitig und stehen oft mit Herkunft und Stigmatisierung in Verbindung. Paradoxerweise bleiben jedes Jahr zigtausend Ausbildungsplätze unbesetzt. Dieser gesellschaftlichen Herausforderung wirken gleich fünf Großunternehmen und die Initiative JOBLINGE aktiv entgegen: Mit der Eröffnung des Münchner basecamp schaffen sie eine moderne Lernumgebung, gezielte Förderung und eine vertrauensvolle Unterstützung für junge Menschen mit Start-schwierigkeiten.
Die Reise in eine zuversichtliche Zukunft beginnt für junge Menschen am Münchner Stiglmaierplatz. Genau dort, wo man das Herz der Stadt pulsieren spürt und Chancengerechtigkeit der Kompass ist: Im Münchner basecamp kooperieren mit der Allianz Gruppe, der BMW Group, der Infineon Technologies AG, der Lufthansa Group und der Siemens AG erstmals fünf Großunternehmen, um mit der gemeinnützigen Organisation JOBLINGE gesellschaftliche Verantwortung als nachhaltiges Ausbildungsmodell zu etablieren. Die Unternehmen sind Teil der Lösung – für die Jugendlichen, für die Wirtschaft, für die Gemeinschaft. Das macht diese Initiative zu einer Blaupause für innovative Sozialprojekte. Und dafür, wie Corporate Social Responsibility eine Win-win-win-Situation bewirkt.
Fast 3 Millionen ohne Abschluss – ein verlorenes Potential
Die Ausbildungsmisere in Deutschland ist ein individuelles Problem. Ganz sicher für jeden einzelnen der 2,86 Millionen jungen Menschen, die bis 34 Jahre noch keine berufliche Qualifikation haben. Sie ist aber auch eine ökonomische Herausforderung für die Unternehmen, deren Wachstum durch Fachkräftemangel gedrosselt wird.
Besonders besorgniserregend: Die Gruppe der NEETs ist laut qualitativer JOBLINGE-Studie „Jugend im Standby“ – durchgeführt vom rheingold Institut Köln – häufig schwer zu erreichen. Viele dieser jungen Menschen warten, zögern, ziehen sich zurück. Bereits vor der Corona-Pandemie galt: Rund 20 Prozent der arbeitslosen Jugendlichen konnten von öffentlichen Stellen nicht mehr aktiviert werden. Gründe sind oft tief verankertes Misstrauen gegenüber Institutionen oder das Gefühl, nicht gesehen zu werden. Diese jungen Menschen leben meist noch im Elternhaus, in Wohngemeinschaften oder betreuten Einrichtungen. Einige sind geringfügig beschäftigt oder arbeiten in ungelernten Jobs. Andere beziehen Bürgergeld oder leben in Bedarfsgemeinschaften. Gemeinsam ist ihnen: Seit mindestens einem Jahr sind sie weder in Ausbildung, Schule oder Studium – und oft auch ohne Kontakt zu Bildungsträgern oder Arbeitsämtern.
Jährlich fließen etwa fünf Milliarden Euro in Maßnahmen zur Arbeitsmarktintegration Jugendlicher – aber die Effekte sind überschaubar; die Vermittlungsquote der zahlreichen Maßnahmen ist unzureichend. Allein im Jahr 2023 blieben 35 Prozent aller Ausbildungsplätze unbesetzt. Auf der anderen Seite des Paradoxons: Von den fast drei Millionen Menschen unter 34 Jahren, die ohne Ausbildung sind, fehlt vor allem den Jüngeren mindestens Orientierung, oft sogar sämtliche Perspektiven.
Die Wirtschaft übernimmt soziale Verantwortung
In einer Stadt wie München, in der technologischer Fortschritt und wirtschaftliche Kraft auf jedem Schritt sichtbar sind, könnte man leicht vergessen, dass nicht jeder dieselben Türen öffnen kann. Genau hier setzt das basecamp München an.
Doch dabei ist das basecamp mehr als nur ein Ort – es ist eine Bewegung, die von einigen der wichtigsten ökonomischen Akteure getragen wird: Der Zusammenschluss der fünf Großunternehmen schafft hier ein System, das den Jugendlichen nicht nur Ausbildungsplätze verschafft, sondern sie mit allem ausstattet, was sie brauchen, um dort auch zu bleiben und zu wachsen.
Bei der feierlichen Eröffnung vor wenigen Wochen sprach Professor Bernd Fitzenberger vom Institut für Arbeitsmarkt-und Berufsforschung (IAB) in Nürnberg davon, dass die Wirtschaft oft innovativere Konzepte anbiete als die klassischen Berufsschulen. So gesehen, setzt das basecamp nicht nur einen wichtigen Impuls, sondern einen, der sich auch skalieren lässt. Wenn sich in der Wirtschaft nur genug Nachahmer finden.
Die Initiative JOBLINGE betreibt bereits in Frankfurt, Essen, Mannheim und Berlin vier basecamps mit großem Erfolg. Sie sind Teil der Vision der Organisation: Jede Herkunft soll eine Zukunft haben. Bis 2030 will JOBLINGE 100.000 jungen Menschen ein Angebot für Ausbildung und Unterstützung machen. Teil davon ist auch die Aktivierung vieler junger Menschen, die keine Chance auf dem Arbeitsmarkt erhalten oder eben von öffentlichen Institutionen nicht mehr erreicht werden. Über Social Media, Schulen und Straßenansprachen aktiviert JOBLINGE die jungen Menschen – die Betreuung findet im basecamp statt, mit anschließender Option auf Begleitung in der Ausbildung.
Die Niederlassung in München ist die jüngste – und die erste, bei der sich Großunternehmen in einem nie gekannten Ausmaß engagieren. Auf mehr als 600 Quadratmetern bauen die Jugendlichen nicht nur Wissen auf, sondern auch Selbstbewusstsein, Selbstwertgefühl und den Glauben an die eigenen Fähigkeiten. Auch an jene, die ihnen so noch gar nicht bewusst waren. Neben den MINT-Fächern (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik) werden vor allem auch Schlüsselkompetenzen wie Konfliktmanagement, Bewerbungstraining und finanzielle Bildung angeboten. In einer Atmosphäre des gegenseitigen Respekts und der Unterstützung finden die jungen Menschen hier den Rückhalt, den sie brauchen, um sich den Herausforderungen des Lebens zu stellen. Und den kann ihnen das Elternhaus oft genug nicht geben.
Ein Ort, der Mut macht
Allen jungen Menschen, unabhängig von Herkunft oder sozialem Status, Zugang zu Chancen zu geben. Darum geht es. Nur so lässt sich ein selbstbestimmtes Leben und die Teilnahme an der digitalen und technologischen Transformation gewährleisten. Im basecamp wird eine Vision von Bildung und sozialer Verantwortung gelebt, die weit über traditionelle Ausbildungsformate hinausgeht. Bereits nach nur sechs Monaten hat die Initiative mehr als 250 Jugendliche begleitet. Schon jetzt konnten die Jugendlichen sich in 20 Workshops zu Themen wie Künstliche Intelligenz und Cybersecurity mit den großen Fragen unserer Zeit beschäftigen. Dazu gibt es Veranstaltungen wie den Hackathon, die Ausbildungsmesse und ein Jobcamp, um direkte Verbindungen zu lokalen Unternehmen aufzubauen.
Diese Veranstaltungen sind nicht nur Informationsquelle, sondern auch Hoffnungsschimmer für die Jugendlichen, die hier die Möglichkeit haben, ihre Zukunft selbstwirksam zu gestalten. Gerne auch dann, wenn es im ersten Anlauf mal nicht passt.
Und genau das ist oft genug der Fall. Die zwanzigjährige Patricia hatte sich gleich nach der Mittleren Reife an die JOBLINGE gewandt und mit deren Experten über ihre berufliche Zukunft diskutiert. So ein Gespräch darf man sich ein bisschen vorstellen wie die Anamnese beim Arzt, und am Ende war Patricia sicher: Kauffrau für Büromanagement – das ist es.
Ausbildung als Abenteuer – nicht als Albtraum
Bloß der Arbeitgeber hat dann nicht so gepasst. Zu groß, zu anonym, zu wenig Zeit für die junge Frau. „Ich wurde schon am zweiten Arbeitstag ins Homeoffice geschickt“, erzählt sie. Für erfahrene Arbeitnehmer ist das sicher eine willkommene Abwechslung, für die Einsteigerin war es eine Katastrophe. Patricia litt ein halbes Jahr lang still vor sich hin, bis sie sich wieder an die JOBLINGE wandte und diese um Hilfe bat. Schnell konnten die ihr einen neuen Ausbildungsplatz in den berufsbildenden Zentren der Bayerischen Wirtschaft besorgen. Dort fühlt sie sich wertgeschätzt, erhält Vertrauen und Verantwortung – und wird, wenn nichts mehr dazwischenkommt, im Sommer am Ende ihrer Ausbildung übernommen. Nun gibt sie ihre Erfahrungen im basecamp an andere Jugendliche weiter. Sie sagt: „Nicht allein zu sein und Menschen zu haben, die hinter dir stehen und weiterhelfen, das ist ein sehr gutes Gefühl.“ Genau dafür setzt sich JOBLINGE ein – junge Menschen, die sich von der Gesellschaft ausgeschlossen fühlen, zu integrieren.
Das Haus am Stiglmaierplatz wird zu einem richtigen Ökosystem, in dem jeder von jedem profitieren soll. Da ist die Kooperation mit dem nahe gelegenen MakerSpace der UnternehmerTUM. Da sind regelmäßige MINT-Events, die zeigen welche Bedeutung die digitale Transformation für die Arbeitswelt von morgen hat. Und genau deshalb bringen die Mitarbeitenden der Allianz Gruppe, der BMW Group, der Infineon Technologies AG, der Lufthansa Group und der Siemens AG im basecamp auch ihre eigenen Erfahrungen ein.
Als freiwillige Mentoren integrieren sie die Jungen und Mädchen in ihre Netzwerke und geben ihnen wichtige Ratschläge aus ihrer eigenen Praxis. Im Prinzip wie die Fluglotsen im Airport-Tower. Das basecamp sendet so ein sichtbares Signal gegen Jugendarbeitslosigkeit und Fachkräftemangel. Und dient vor allem als lebendiges Beispiel dafür, wie Unternehmen für die gesamte Gesellschaft Verantwortung übernehmen. Denn diese endet nicht an der Bürotür oder dem Werkstor.




