Am grünen Wasserstoff scheiden sich die Geister. Für die einen ist er Heilsbringer, für die anderen ineffizienter Hokuspokus. Der realistische Blick zeigt: Grüner Wasserstoff ist beim klimagerechten Umbau der energieintensiven Wirtschaft nicht wegzudenken. Insbesondere in Bereichen, in denen Prozesswärme benötigt wird, ist er sogar alternativlos. Doch nicht nur dort, auch im Verkehrsbereich sind die Potentiale des grünen H2 offenkundig. Mit 148 Tonnen CO2-Emissionen in Deutschland macht der Verkehr rund 20 Prozent des gesamten CO2-Ausstoßes aus.
Klar ist: Im Jahr 2023 wurden 3,04 Milliarden Kubikmeter Wasserstoff in Deutschland produziert, der vor allem als Ausgangstoff in der chemischen Industrie eingesetzt wird: zum Beispiel bei der Produktion von Dünger, Kraftstoffen oder Methanol. Das Problem dabei ist: Dieser Wasserstoff ist grau und wird aus Erdgas hergestellt. Bei der Produktion von einem Kilogramm grauem Wasserstoff werden 10 Kilogramm CO2 freigesetzt.
Ein riesiges (Einspar-)Potential. Besonders, wenn man bedenkt, dass der Bedarf an Wasserstoff laut Prognosen des Bundeswirtschaftsministeriums in den nächsten 20 Jahren durch die Dekarbonisierung von Industrieprozessen wie der Stahl- und Zementerzeugung um ein Vielfaches steigen wird.
Die Bundesregierung hat beschlossen, das Thema grüner Wasserstoff in den Bereichen Industrie, Verkehr, Land- und Bauwirtschaft in den Fokus zu nehmen, und eine Gesamtstrategie formuliert. Die Ziele sind ehrgeizig. So sollen bis 2030 bis zu 50 Prozent des Wasserstoffs grün produziert und die heimische Elektrolysekapazität auf 10 Gigawatt ausgebaut werden.
Doch wie entsteht grüner Wasserstoff? Für die Produktion von klimaneutralem H2 wird unter der Verwendung von Strom aus Sonnen- und Windenergie Wasser in Wasserstoff und Sauerstoff aufgespalten. Dabei entstehen wertvolle Nebenprodukte, die dabei helfen, grüne Wasserstoffproduktion wirtschaftlicher zu machen. Außerdem ergeben sich hieraus klare Vorteile für die Umwelt:
• Der frei werdende Sauerstoff kann natürlich in die Luft abgelassen, aber auch für medizinische Zwecke verwendet werden. Er kann darüber hinaus technisch in der chemischen Industrie, in Stahlwerken, aber auch zur Abwasseraufbereitung eingesetzt werden. Darüber hinaus gibt es derzeit ernsthafte Untersuchungen, ob eine Anreicherung von Küstengewässern mit Sauerstoff aus Großelektrolyseanlagen eine Möglichkeit darstellt, der Eutrophierung der Küstengewässer entgegenzuwirken und deren ökologischen Zustand langfristig zu verbessern.
• Beim Elektrolyseverfahren entstehen erhebliche Wärmemengen. Diese Abwärme kann von Industriebetrieben vor Ort für die Produktion genutzt werden, aber auch Städte und Gemeinden in der Umgebung der Produktionsanlagen verlässlich mit Wärme versorgen.
Die Vorteile des grünen Wasserstoffs liegen auf der Hand. Trotzdem läuft nicht alles rund. In der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung vom 23. Juni 2024 wird der Finger in die Wunde gelegt mit dem Titel „Habecks Wasserstoff-Berater schlagen Alarm“. Die finanzielle Unterstützung reiche nicht. Außerdem sei es schwierig, einen Markt zu bearbeiten, der noch gar nicht richtig existiert.
Um „Independent Hydrogen Producern“ auf die Füße zu helfen, sind aus meiner Sicht drei Dinge unabdingbar:
1. Lernen durch Skalierung: Die größte je gebaute Elektrolyse für die Wasserstoffproduktion wurde bereits vor dem 2. Weltkrieg in Norwegen in Betrieb genommen. H2 Apex hat 2021 die größte Anlage in Deutschland gebaut – mit zwei Megawatt. (Zur Erinnerung: Die politische Zielsetzung ist 10 Gigawatt bis 2030). Warum ist es gut, solche verhältnismäßig kleinen Anlagen in Betrieb zu nehmen oder schon seit einigen Jahren zu betreiben? Die Komponenten, die in einer solchen Wasserstoffanlage verbaut werden – am bekanntesten ist vielleicht der Elektrolyseur, der Wasser in Wasserstoff und Sauerstoff aufspaltet, – sind bekannt. Die Innovation steckt in der intelligenten Orchestrierung der einzelnen Anlagenkomponenten und in der intelligenten Sektorenkopplung, um allen Produktionsoutput so zu nutzen, dass die Produktionsmittel maximal effizient eingesetzt werden – eine Notwendigkeit, um grünen Wasserstoff wirtschaftlich produzieren zu können. Der produzierte Wasserstoff von circa 15.000 Kilogramm pro Jahr wird schon heute verwendet, um den Industriestandort klimaneutral zu betreiben, und zusätzlich an regionale Schwertransportunternehmen wie den lokalen Nahverkehr mit Bussen abgegeben.
2. Partnering: Einen Markt baut man nicht allein auf. Transformation ist ein Teamsport – und der Markt für grünen Wasserstoff ist komplex. Wie erwähnt, braucht es die Produktionsanlagen mit allen damit verbundenen Herausforderungen. Am wichtigsten sind die Lieferanten für zum Beispiel Elektrolyseure, Schalt- und Umspannanlagen, aber auch für den Strom aus erneuerbaren Energien, denn ohne den wird der Wasserstoff nicht grün. Des Weiteren benötigen wir Infrastruktur: Stromtrassen, Pipelines oder Anlagen zur Wasseraufbereitung, um nur einige zu nennen. Last but not least kommt es entscheidend auf zügige Genehmigungsverfahren, politische Rahmenbedingungen und verlässliche Förderung an, um den Markthochlauf zu flankieren.
3. Kunden, die sich was trauen: Wir sind Unternehmer und wissen, dass Investitionen gut überlegt und finanziert sein müssen. Wasserstoff wird heute noch als „Champagner der Energiewende“ bezeichnet. Da ist die Investitionszurückhaltung teilweise verständlich. Gleichzeitig geht es nicht ohne Innovationen, und jedes Unternehmen sollte dafür einen Teil seiner Ressourcen zur Verfügung stellen. Unsere Kunden aus der energieintensiven Wirtschaft und dem Mobilitätssektor wissen, dass der CO2-Preis schrittweise ansteigen wird. Zum 1. Januar 2024 stieg er auf 45 Euro, im nächsten Jahr wird er auf 55 Euro steigen. Und ab 2027 soll für die CO2– Emissionen von Verkehr und Gebäudewärme ein europäisches Emissionshandelssystem eingeführt werden. Es gibt also kein „Weiter so“, sondern ein „Besser in der Zukunft“.
Zum Schluss möchte ich noch auf eine Chance hinweisen, die ähnlich wie die Energiewende in aller Munde ist und gleichzeitig auch auf dem Weg zu einer erfolgreichen Wasserstoffwirtschaft relevant ist: die Digitalisierung. Grüner Wasserstoff kann zum Beispiel Effizienzen in der Stromerzeugung schaffen. Wetteralgorithmen prognostizieren Zeiten, in denen die Erneuerbaren Überschussenergie produzieren. Diese kann zum günstigen Preis für die Wasserstofferzeugung gekauft werden, was gleichzeitig die Netzentgelte senkt. Effizienzsteigerungen der Elektrolyseure können durch KI und Machine Learning erreicht werden. Predictive Maintenance hilft dabei, eine effiziente Instandhaltung zu garantieren. Beim Betreiben einer Wasserstoffanlage lernt man jeden Tag dazu. Es ist wie beim Autofahren. Man lernt es nicht als Beifahrer, sondern indem man es tut. Greendoing ist also das Gebot der Stunde, um unsere Vision einer Welt ohne menschengemachten Klimawandel zu verwirklichen.




