Deutschlands ungenutzte Chance

Ahmed (Name geändert) floh 2015 aus Syrien nach Deutschland. Auch mit zahlreichen Weiterbildungen, etwa als Staplerfahrer, fand er sieben Jahre lang keine Anstellung – trotz Qualifikationen, die auf dem deutschen Arbeitsmarkt händeringend gesucht werden. Seine Geschichte zeigt den Wendepunkt, an dem Deutschland seht: Die Gesellschaft altert, der Fachkräftemangel wächst, und doch bleibt das Potential internationaler und geflüchteter Talente oft ungenutzt. Dabei stellt sich die zentrale Frage, wie können wir nicht nur die Potentiale von Menschen mit Flucht- oder Migrationsgeschichte besser nutzen, sondern vor allem auch ihre Integration als Chance begreifen – sowohl für unsere Gesellschaft als auch für die Wirtschaft?

Der Fachkräftemangel ist längst Realität

Der Spoiler zuerst: Nach sieben Jahren erfolgloser Jobsuche fand Ahmed eine Anstellung als Paketzusteller. Was von außen betrachtet unscheinbar wirken mag, war für ihn ein riesiger Erfolg. Denn die Anstellung bedeutete für Ahmed weit mehr als nur ein eigenes Einkommen – sie war der entscheidende Schritt, um in Deutschland wirklich anzukommen. Der Fall zeigt: Laut dem Institut der deutschen Wirtschaft blieben zuletzt 530.000 Stellen unbesetzt – eine alarmierende Zahl, die sich durch den demographischen Wandel weiter verschärfen wird. Prognosen zufolge könnte die Lücke bis 2030 auf über fünf Millionen anwachsen.

Dabei ist das Problem nicht nur wirtschaftlicher Natur. Der Arbeitskräftemangel trifft längst den Alltag vieler Menschen. Eltern müssen wegen fehlender Erzieher:innen zunehmend selbst Lösungen für die Kinderbetreuung finden, was ihre Arbeitszeit einschränkt und den Druck auf die Familie erhöht. Auch in der Gesundheitsversorgung macht sich der Mangel bemerkbar: Pflegekräfte sind überlastet, Wartezeiten in Arztpraxen verlängern sich, und in manchen Regionen müssen Praxen sogar schließen, weil es an Personal fehlt. Was heute ein strukturelles Problem ist, könnte sich in den kommenden Jahren zu einer existenziellen Herausforderung entwickeln – für die Wirtschaft, für die Gesellschaft und für jede:n Einzelne:n.

Deutschland ist auf Migration angewiesen

Während auf der einen Seite Fachkräfte dringend gesucht werden, bleiben auf der anderen viele qualifizierte Menschen mit Flucht- oder Migrationsgeschichte außen vor. Dabei ist längst klar: Der deutsche Arbeitsmarkt ist auf ausländische Arbeitskräfte angewiesen. Laut dem 14. Integrationsbericht der Bundesregierung arbeiten zwei Drittel der nicht deutschen Beschäftigten in qualifizierten Berufen – viele davon in Engpassbranchen. Ohne sie würden zentrale Bereiche des Systems bereits heute nicht mehr funktionieren.

Dennoch wird ihre Rolle oft unterschätzt – als würden sie nur eine Lücke füllen, statt aktiv zum wirtschaftlichen Erfolg beizutragen. Doch das greift zu kurz. Denn nicht nur für den aktuellen Arbeitsmarkt sind internationale Talente entscheidend, sie sind auch der Schlüssel für die wirtschaftliche Zukunft Deutschlands. Wenn das Land langfristig wettbewerbsfähig bleiben und seinen Wohlstand sichern will, muss es internationale Arbeitskräfte nicht nur als Notlösung betrachten, sondern als essentiellen Bestandteil einer nachhaltigen Wirtschaftsstrategie. Das bedeutet, gezielt in die Integration dieser Talente zu investieren.

Integration scheitert oft an selbst gemachten Hürden

Dazu gehört auch im ersten Schritt ein Blick auf bestehende Hürden. Einer der größten Stolpersteine ist die Bürokratie. Welch Überraschung, wer hätte gedacht, dass ausgerechnet in Deutschland bürokratische Prozesse zum Problem werden könnten? Doch genau das ist der Fall: Die Anerkennung ausländischer Abschlüsse kann sich über Monate hinziehen. Das Ergebnis: Viele arbeiten weit unter ihrer Qualifikation oder bleiben ganz vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen.

Auch die vom Arbeitsmarkt vorausgesetzten Sprachanforderungen stellen eine große Hürde dar. Viele internationale und geflüchtete Talente bringen nicht nur wertvolle Qualifikationen mit, sondern auch die große Motivation, so schnell wie möglich in den Job einzusteigen. Oft stehen ihnen jedoch Sprachbarrieren im Weg. Selbst hoch qualifizierte Fachkräfte finden keine Stelle auf ihrem Qualifikationsniveau, weil ihre Deutschkenntnisse nicht ausreichen. Viele landen zunächst im Helferbereich, obwohl sie für anspruchsvollere Tätigkeiten qualifiziert wären. Unternehmen klagen über Fachkräftemangel, halten aber oftmals weiterhin an Deutsch als zwingender Voraussetzung fest, statt Englisch als Arbeitssprache zu ermöglichen, wie es im europäischen Ausland oder in der Digitalwirtschaft längst gängige Praxis ist.

Auch die Politik ist in der Bringschuld, flexiblere Rahmenbedingungen zu schaffen. Berufsbegleitende Sprachkurse sind oft nicht mit der Arbeitsrealität vereinbar. Sie erfordern Freistellungen, passen nicht in Schichtpläne oder sind bürokratisch schwer zugänglich. Stattdessen braucht es praxisnahe und niedrigschwellige Angebote, die es ermöglichen, dass Sprachförderung und Arbeit Hand in Hand gehen, anstatt sich gegenseitig auszuschließen. Hinzu kommen Vorurteile und Diskriminierung.

Wie Ferda Ataman, Unabhängige Bundesbeauftragte für Antidiskriminierung im Kabinett von Olaf Scholz, jüngst beschrieb, erleben viele Menschen im Bewerbungsprozess nach wie vor offen diskriminierendes Verhalten. Besonders alarmierend ist, dass Fremdenfeindlichkeit und Ausgrenzung zunehmend salonfähig erscheinen – verstärkt durch politische Verschiebungen und Wahlergebnisse, die solche Tendenzen weiter legitimieren. Das macht es für internationale Talente umso schwerer, einen fairen Zugang zum Arbeitsmarkt zu erhalten, selbst wenn sie alle fachlichen Voraussetzungen mitbringen.

Das Paradoxon bleibt bestehen: Fachkräfte werden gesucht, doch viele, die dringend gebraucht werden, stehen oftmals vor verschlossenen Türen. Dabei zeigen zahlreiche Studien, dass Unternehmen, die Vielfalt aktiv fördern, profitieren. Diverse Teams sind kreativer und innovativer. Mitarbeitende mit Migrationsgeschichte weisen durchschnittlich eine geringere Fluktuationsrate auf und erhöhen die Attraktivität eines Unternehmens für weitere potentielle Bewerber:innen. Wer Vielfalt gezielt fördert, sichert sich nicht nur dringend benötigte Talente, sondern auch einen entscheidenden Wettbewerbsvorteil.

Lösungen gibt es – sie müssen nur genutzt werden

Doch es gibt auch eine andere Seite. Während viele Unternehmen weiterhin Schwierigkeiten haben, internationale und geflüchtete Talente für sich zu gewinnen, gibt es längst Wege, diese Hürden gezielt zu überwinden. Einige Unternehmen setzen bereits auf Strategien, um die Rekrutierung nicht dem Zufall zu überlassen – und greifen dabei auf bestehende Initiativen zurück.

So war es auch im Fall von Ahmed. Nach sieben Jahren erfolgloser Jobsuche fand er über Workeer eine Anstellung – eine Plattform, die speziell für internationale und geflüchtete Menschen entwickelt wurde. Anders als klassische Jobportale stellt Workeer nicht nur eine Verbindung zwischen Talenten und Arbeitgebern her, sondern entwickelt passgenaue Lösungen, um den Zugang zum Arbeitsmarkt zu erleichtern. Unternehmen können gezielt nach Fach- und Arbeitskräften suchen, während Talente die Möglichkeit erhalten, sich sichtbar zu machen.

Dabei geht es nicht nur um Jobangebote, sondern auch um die Überwindung struktureller Hürden. Durch den Fokus auf eine Zielgruppe, die mit besonderen Herausforderungen konfrontiert ist, schafft Workeer Lösungen, die klassische Stellenportale oft nicht bieten: Unterstützung bei Bewerbungsprozessen, Orientierungshilfen zum Arbeitsmarkt oder Informationen zu rechtlichen Rahmenbedingungen. Gleichzeitig profitieren Unternehmen von einer gezielten Vernetzung mit Talenten, die sie über herkömmliche Wege oft nicht erreichen.

Ahmeds Geschichte macht deutlich: Integration geschieht nicht von allein – sie braucht Strukturen, die den Weg ebnen. Unternehmen, die sich darauf einlassen, gewinnen nicht nur Fachkräfte, sondern gestalten aktiv eine Arbeitswelt, die Chancen für alle eröffnet.

Zukunft braucht Offenheit – nicht Abschottung

Die Arbeit von ebensolchen Initiativen ist umso wichtiger in einem politischen Klima, das zunehmend von migrationsfeindlichen Tendenzen geprägt ist. In Deutschland ist in den letzten Jahren ein besorgniserregender Rechtsruck zu beobachten – eine Entwicklung, die nicht nur den gesellschaftlichen Zusammenhalt gefährdet, sondern auch die wirtschaftliche Zukunft des Landes. Während die Realität zeigt, dass Zuwanderung essentiell für den Arbeitsmarkt ist, werden Migration und Integration zunehmend politisch instrumentalisiert.

Wer Integration erschwert oder Fachkräfteeinwanderung blockiert, trifft damit nicht nur die Betroffenen, sondern schwächt langfristig auch den Standort Deutschland. Statt Fachkräfte gezielt willkommen zu heißen und den Arbeitsmarkt für internationale und geflüchtete Talente zugänglicher zu machen, wird vielfach über Einschränkungen und Abschottung diskutiert. Doch Zukunftsfähigkeit entsteht durch Offenheit und durch Strukturen, die es internationalen und geflüchteten Talenten ermöglichen, ihre Fähigkeiten in den Arbeitsmarkt einzubringen und so zur wirtschaftlichen Stabilität beizutragen. Ob Deutschland die Chancen internationaler Talente nutzt oder sie weiterhin an unnötigen Hürden scheitern lässt, ist eine Frage der politischen Weichenstellung – aber auch der gesellschaftlichen Haltung. Denn eine offene, diverse Gesellschaft ist kein Selbstläufer. Sie muss aktiv gestaltet werden.

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