Fußballlegende Thomas Helmer über die Kapitänsrolle, Nachhaltigkeit, sein soziales Engagement und die EM 2024

Der frühere Fußballprofi Thomas Helmer (58) ist heute bekannt als Sportmoderator, unter anderem moderierte er auf Sport1 die Kultsendung „Doppelpass“ am Sonntagmorgen sowie den „Fantalk“. Helmer spielte von 1990 bis 1998 68-mal für die deutsche Nationalmannschaft, größter internationaler Erfolg war der EM-Titel 1996 in England. Mit dem FC Bayern München gewann er drei Deutsche Meisterschaften, den DFB-Pokal (auch einmal mit Borussia Dortmund) sowie 1996 den UEFA-Pokal. Helmer war zwei Jahre lang Kapitän der Mannschaft. 1996 zeichnete ihn das Fachmagazin Kicker als „Mann des Jahres im deutschen Fußball“ aus. Neben seinen journalistischen Tätigkeiten ist Thomas Helmer unter anderem Gesellschafter der High Performance Padel GmbH, die für das Trend-Rückschlagspiel Padel (Mischung aus Tennis und Squash) Plätze gestaltet und installiert, und sozial sehr engagiert.

Sie waren Kapitän des FC Bayern München. Wie wichtig war es Ihnen, als Fußballprofi Verantwortung zu übernehmen?

Wichtig ist nicht das richtige Wort. Ich habe das in erster Linie gerne gemacht. Das ist die Grundvoraussetzung. Und es war für mich eine Auszeichnung. Natürlich musste ich in bestimmten Momenten als Kapitän auch Entscheidungen treffen, von denen ich annahm, dass sie richtig sind. Sie betrafen dann nicht nur mich, sondern die gesamte Mannschaft. Grundsätzlich hatte ich Spaß daran.

Welche Bedeutung hat Verantwortung für Sie heute im beruflichen Leben?

Daran dass ich gerne Verantwortung trage, hat sich nichts verändert. Vielleicht liegt das in meiner DNA, ich bin so erzogen worden. Mein leiblicher Vater ist sehr früh verstorben, ich war damals neun Jahre alt. Meine Mutter hat meine Schwester und mich alleine aufgezogen. Als älteres von zwei Geschwistern wächst man in diese Rolle vielleicht automatisch hinein. Da hat sich sicher ein Gefühl der Verantwortung entwickelt, und das hat sich bis heute gehalten. Das bringt mit sich, dass ich immer noch schlecht nein sagen kann. Natürlich muss man aufpassen, dass man sich nicht zu viel aufbürdet, dem man dann nicht nachkommen kann. Aber vom Grundsatz her möchte ich vorangehen.

Ein Kapitän hat eine Vorbildfunktion und muss seine Mitspieler motivieren und führen können. Doch wie genau macht man das?

Erst einmal muss natürlich die eigene sportliche Leistung stimmen. Ich will die Frage mit einem Beispiel beantworten, einer Geschichte als Bayern-Kapitän, an die ich mich erinnere: Damals hatte ich die Mannschaft zusammengetrommelt und gesagt: Wir sollten unseren Busfahrern, Zeugwarten und so weiter etwas zu Weihnachten schenken. Die Mannschaft hat daraufhin erst einmal nein gesagt – die seien doch im Verein angestellt, hieß es. Wir haben später doch zusammengelegt, und die Mitarbeitenden hatten so wirklich das Gefühl, dass wir ihre Arbeit honorieren. Ich meinte damals zu spüren, dass das alle motiviert hat, und die Mannschaft hat letzten Endes davon profitiert. Alle Kräfte um das Team herum sind wichtig, damit es selbst vernünftig spielen kann. Das habe ich versucht, der Mannschaft zu vermitteln.

Sie sind auch Geschäftsführer einer Sportmarketing- und Sponsoringagentur. Befassen sich die Verantwortlichen in dieser Branche mit Themen wie Nachhaltigkeit oder Diversität?

Mit Nachhaltigkeit auf jeden Fall. Zum Beispiel unterstütze ich den Textilproduzenten Fast52 aus meiner Heimat Bielefeld seit einigen Jahren als Markenbotschafter. Die schreiben sich Nachhaltigkeit auf die Fahne. Zusammen versuchen wir, eine eigene Marke zu entwickeln, Helmers Helden, rein aus nachhaltig und fair produzierten Textilien. Ein spannendes Thema, eine kleine Firma, aber da werde ich mit Nachhaltigkeit täglich konfrontiert. Daher stehe ich hierfür auch gerne zur Verfügung, um gemeinsam etwas zu versuchen und das Thema ein ganz kleines Stückchen weiter nach vorne zu bringen. Natürlich geht es in der Branche auch darum, die Fußballstadien „grüner“ zu machen. Ein Bereich, in dem alle derzeit umdenken und auch umdenken müssen. Damit komme ich immer wieder in Berührung. Natürlich kenne ich mich aber im reinen Sportgeschehen viel besser aus.

Sie sind sozial sehr engagiert. Was genau machen Sie, und nach welchen Kriterien entscheiden Sie sich für ein soziales Engagement?

Vieles hängt mit Kindern zusammen. Ich habe selbst vier Kinder. Es fing schon zu meiner aktiven Zeit als Profi mit den SOS-Kinderdörfern an. Das war eine Ehre und Anerkennung für mich, hier Botschafter zu sein. Meine Frau und ich haben damals in Vietnam eine Patenschaft für ein Kinderdorf übernommen. Wir sind hingereist, als quasi noch nichts vorhanden war, und dann wieder, nachdem das Dorf erbaut worden war. Ich engagiere mich auch für den Verein Dunkelziffer in Hamburg, der sich für sexuell missbrauchte Kinder einsetzt, und seit längerem für ein Kinderhospiz in Hamburg. Da bin ich sehr oft, und inzwischen bin ich auch Botschafter für den Bundesverband Kinderhospiz. Bei der Kinderhilfe Organtransplantation zähle ich zu den Gründungsmitgliedern. Ich kann nicht alles machen, aber wenn für Kinder Hilfe nötig ist und ich gefragt werde, helfe ich meist sehr gerne. Obwohl mein Vater früh verstorben ist, habe ich das Gefühl, dass ich in einer intakten Familie aufgewachsen bin. Ich habe in meiner Kindheit nichts vermisst. Deshalb gebe ich hier sehr gerne etwas zurück.

Welche Werte möchten Sie als Person des öffentlichen Lebens vermitteln?

Es wird mir immer wieder gesagt, ich sei sehr harmoniebedürftig. Ich mag nicht, wenn jemand ungerecht behandelt wird. Das gilt für mich persönlich natürlich auch. Im Sommer war ich mit einer Traditionsmannschaft unterwegs. Wir spielten irgendwo in Ostfriesland. Nach dem Spiel ging es darum, Selfies mit Fans zu machen, Autogramme sind ja nicht mehr so gefragt. Ich habe dann angefangen im Stillen zu zählen, wie viele der Kinder, Jugendlichen und Erwachsenen nicht danke und bitte gesagt haben. Nach fünfzig habe ich in die Runde gefragt: Wie sagt man eigentlich? Da waren alle ganz verlegen. Das versuche ich meinen Kindern beizubringen: jemanden ordentlich zu begrüßen, danke und bitte zu sagen und so weiter. Das ist doch eigentlich nicht schwer. Auf diesen Basics bauen sich andere Werte wie Respekt und so weiter auf. Ich habe den Eindruck, gesellschaftlich bewegen wir uns hier in die falsche Richtung. Der Ton wird rauer, aggressiver, es sind einige Hemmschwellen verschwunden. Diese Entwicklung finde ich nicht gut.

In diesem Jahr wird in Deutschland die Fußball-Europameisterschaft ausgetragen. Welche Chance bietet diese Veranstaltung auch abseits des Sports?

Der Sport, gerade der Fußball, bietet immer eine große Chance, etwas zu bewegen. Das steht außer Frage. Unsere Außenwahrnehmung als Land ist nicht mehr so positiv, wie sie früher einmal war. Ein positives Image von Deutschland durch die EM zu vermitteln würde uns guttun. Genauso eine positive Grundstimmung im Land, die wir im Moment nicht haben. Bei einer Veranstaltung anlässlich der EM-Auslosung im Dezember in Hamburg ist mir klar geworden, wie viele tausend Arbeitsplätze durch die EM entstanden sind. Eine solche Veranstaltung hat eine Strahlkraft. Ein Problem ist: Wir wissen alle, wie schön es 2006 bei der WM in Deutschland war. Ist das wiederholbar? So hoch sollten wir gar nicht ansetzen, um nachher nicht enttäuscht zu sein. Und es fängt natürlich mit dem Sportlichen an. Wenn das nicht so klappt, wie wir uns das alle wünschen, wonach es im Moment aussieht, so kann die Stimmung trotzdem toll sein bei diesen vielen Nationen und vielen tollen Spielern aus Europa. Die EM bietet eine riesige Chance, die Voraussetzungen sind bestens. Ich wünsche mir, dass wir Deutschen da mit Freude rangehen und gemeinsam sagen: Lasst uns etwas Besonderes schaffen! Was mir mit Blick auf den Sport dabei wichtig ist: Meines Erachtens wird der Fußball heute zu sehr verwissenschaftlicht. Man darf den Menschen nicht außen vor lassen. Wie soll sich sonst Persönlichkeit entwickeln? Man muss auch Fehler machen dürfen und sie verzeihen können.

Die Fragen stellte Oliver Kauer-Berk.

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