Prof. Dr. René Schmidpeter ist Forschungsprofessor an der Berner Fachhochschule (BFH) sowie Scientific Researcher der Parmenides Stiftung. Er hat sich in der wissenschaftlichen Aufarbeitung und Begleitung des Nachhaltigkeitsmanagements einen Namen gemacht und ist Gründer und wissenschaftlicher Mitgestalter zahlreicher nationaler und internationaler Nachhaltigkeitsinitiativen und Thinktanks. Schmidpeter begleitet die Initiative Verantwortung des F.A.Z.- Instituts als Beirat.
Aktuell befinden wir uns in einer Neuausrichtung der Wirtschaft. Welche Konsequenzen hat das für die aktuelle Managementdiskussion?
In der akademischen Welt verändern sich das Wissen über die Transformation der Wirtschaft und die daraus resultierenden Folgen für die Unternehmen rasant. Auf Entscheiderinnen und Entscheider in den Unternehmen kommen viele neue Themen zu – insbesondere die Themen nachhaltiges Management und Responsible Leadership entwickeln sich derzeit besonders dynamisch.
Wie behält man in dieser Situation den Überblick?
Um die gestiegenen Anforderungen und Nachhaltigkeitsansprüche von Mitarbeitenden, Kundschaft sowie Investorinnen und Investoren an die Unternehmen zu meistern, braucht es Wissen aus ganz unterschiedlichen Disziplinen, Branchen und internationalen Perspektiven. In den letzten fünf Jahren haben wir daher begonnen, ein zeitgemäßes und innovatives Referenzwerk für das Thema Nachhaltigkeit in Wirtschaft und Management zu schaffen. Dieses ist online zugängig und wird von Expertinnen und Experten und von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus der ganzen Welt befüllt, mit dem Ziel, das neue Mindset und Managementparadigma umfassend darzustellen.
Wie ist der aktuelle Stand?
Mittlerweile ist die Enzyklopädie das aktuellste und umfangreichste Nachschlagewerk im Bereich nachhaltiges Management. Es beinhaltet Definitionen und neues Wissen in mittlerweile mehr als 700 Beiträgen, welche alle Bereiche des Managements abdecken. Und das aus einer internationalen Perspektive und mit Blick auf die gegenwärtige globale Transformation unserer Wirtschaftswelt. Es liegt nun auch in gedruckter Form in vier Bänden mit über 4.000 Seiten vor. Die Enzyklopädie verbindet traditionelles Managementwissen mit neuen Nachhaltigkeitserkenntnissen. International ausgewiesene Expertinnen und Experten schaffen mit ihr die Basis für ein neues Managementparadigma, welches das alte Gegensatzdenken zwischen Profitstreben und Nachhaltigkeitsdenken überwindet. Durch das breite Expertenwissen werden international nachvollziehbare und tragfähige Definitionen und Erklärungen für neue Konzepte und Schlagwörter aus dem Bereich nachhaltiges Management zur Verfügung gestellt.
Was ist die wichtigste Erkenntnis?
Durch die umfangreichen Beiträge und Erkenntnisse aus der ganzen Welt werden die Komplexität und zunehmenden Herausforderungen für Unternehmen in der Umsetzung und Implementierung von Nachhaltigkeit sichtbar. Nur durch diese Transparenz und die Übersicht über den aktuellen Erkenntnistand ist es möglich, gemeinsam neue Lösungsansätze zu entwickeln. Es zeigt sich, dass die gegenwärtigen Entwicklungen nicht mehr umkehrbar sind und dass eine weltweite Community entsteht, welche Unternehmen nicht als Teil des Problems, sondern als Teil der Lösung für die globalen Herausforderungen begreift. Es geht darum, die Gegenwart gemeinsam von der Zukunft her zu denken. Nur so können wir sicherstellen, dass die heutigen Managemententscheidungen die Basis für eine prosperierende Zukunft schaffen.
Wer hat alles mitgemacht?
Die Liste der Autorinnen und Autoren ist lang. Wir haben Wert darauf gelegt, möglichst viele Perspektiven und geographische Zugänge miteinzubeziehen. Das Herausgeberteam kommt aus Europa und Amerika. Zudem haben wir Verantwortliche für einzelne Themenbereiche, die aus weiteren Regionen der Welt sowie aus internationalen Organisationen kommen. Die meisten Expertinnen und Experten sind zudem global aktiv und verbinden so in ihren akademischen Arbeiten auch unterschiedliche kulturelle Perspektiven. Da es sich um eine fortlaufende Zusammenarbeit handelt, kamen und kommen immer weitere Autorinnen und Autoren dazu.
Wer zählt zur Zielgruppe?
Grundsätzlich richtet sich das Werk an Expertinnen und Experten und an Entscheidungsträger, die die nachhaltige Transformation unserer Wirtschaft aktiv mitgestalten. Aber auch generell an aktuellen Managementfragen interessierten Menschen bietet das Referenzwerk einen guten Überblick sowie internationale Einblicke in einem immer wichtiger werdenden Themenfeld. Zudem gibt es immer mehr Hochschul- und Managementausbildungen, die auf dieses neue Wissen zugreifen. Wir sehen schon jetzt, dass die Encyclopedia in der wissenschaftlichen Community guten Anklang findet und die Inhalte in weiteren Forschungsarbeiten und Studien referenziert werden. So entstehen ein gemeinsames Verständnis und ein Austausch zwischen Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft.
Wie geht es weiter in Ihrer Arbeit, die ja darauf abzielt, eine gemeinsame wissenschaftliche Basis für nachhaltiges Management zu schaffen?
Der Erfolg dieses Projekts hat uns ermutigt, weitere Referenzwerke auch für den deutschen Sprachraum zu schaffen. Derzeit fokussieren wir hier auf die konkrete Umsetzung der 17 Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen (SDGs, Sustainable Development Goals) in den Unternehmen. Hier soll im DACHRaum ein eigenes breites Netzwerk von Forscherinnen und Forschern aus den Bereichen Management, Ökologie und Sozialwissenschaften entstehen, die in ihren Forschungsarbeiten die nachhaltige Transformation adressieren. Zudem arbeiten wir an einer Neuauflage des Managementstandardwerks „Corporate Social Responsibility“, das mittlerweile an die zehn Millionen Downloads vorweist und in den vergangenen zehn Jahren das Referenzwerk für die Integration von Corporate Social Responsibility im Management war. Darüber hinaus werden wichtige Titel der Managementreihe CSR neu aufgelegt, so dass der dynamische Wissenszuwachs in Theorie und Praxis auch in Zukunft für alle nachlesbar bleibt. Diese breite Wissensbasis soll Entscheidungsträger dabei unterstützen, die nachhaltige Transformation unserer Wirtschaft aktiv mitzugestalten.
Das bedeutet, dass das Thema Nachhaltigkeit immer mehr auch in die Wirtschaftswissenschaften einschließlich der Betriebswirtschaftslehre integriert wird?
Davon ist auszugehen. Genauso wie Nachhaltigkeit kein Add-on-Thema in den Unternehmen mehr ist, sondern voll umfänglich in alle Unternehmensbereiche integriert wird, Add-in, so werden auch in der Wissenschaft die neuen Erkenntnisse aus der Nachhaltigkeitsforschung in die einzelnen Disziplinen integriert. Aufgrund der aktuellen Transformation unserer Wirtschaft und die Integration von ESG, CSR und SDG in die Wirtschaftswelt ist die BWL besonders gefordert, eine neue Wissensbasis für die Lehre, Forschung und Projektarbeit zu schaffen. Ich hoffe, unsere Bemühungen können hierzu einen Beitrag liefern.
Die Fragen stellte Gabriele Kalt.




